Was Anleger aus der Ölkrise von 1973 lernen können
Reinhard Panse hat für viele Jahre das Multi Family Office der Quandts geleitet. Inzwischen ist er CIO des Vermögensverwalters FINVIA und blickt exklusiv für die Börse am Sonntag auf den altbekannten Teufelskreis aus Krieg und drohender Rezession, der das Schreckgespenst einer anhaltenden Stagflation wieder aufleben lässt. Er erklärt, warum manches an die 1970er Jahre erinnert, Anleger deshalb aber nicht in Panik geraten sollten.
Reinhard Panse hat für viele Jahre das Multi Family Office der Quandts geleitet. Inzwischen ist er CIO des Vermögensverwalters FINVIA und blickt für die Börse am Sonntag auf den altbekannten Teufelskreis aus Krieg und drohender Rezession, der das Schreckgespenst einer anhaltenden Stagflation wieder aufleben lässt. Er erklärt, warum manches an die 1970er Jahre erinnert, Anleger deshalb aber nicht in Panik geraten sollten.
Im Jahr 1973 griffen Ägypten, Syrien und weitere arabische Länder den Staat Israel an und lösten somit den Jom-Kippur-Krieg aus. Die westlichen Industrienationen stellten sich auf die Seite Israels, was die arabischen OPEC-Staaten mit einem Ölembargo quittierten. Die deutsche Wirtschaft steckte in der Klemme und die Aktienkurse rauschten in Folge von Panikverkäufen nach unten.
Erst nach fast vier Jahren hatte der Index wieder den Stand vor Kriegsbeginn erreicht – das ist die längste Abschwungphase an den Aktienbörsen seit dem Zweiten Weltkrieg. 1979 kam dann eine zweite Ölkrise nach dem Sturz des Schahs von Persien und dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, der als Vorstufe einer Eroberung der nahöstlichen Ölstaaten angesehen wurde und damit als massive Bedrohung der Energieversorgung der westlichen Industriestaaten. Viele Investoren sehen in den Krisen von damals das Spiegelbild der aktuellen Situation. Doch wie vergleichbar ist der Krieg in der Ukraine mit den damaligen Nahost-Konflikten? Welche Erkenntnisse können die Investoren daraus für ihre Strategie und ihr Depot ableiten?
Große Unterschiede trotz ähnlicher Bedingungen
Diskussionen über autofreie Sonntage und Atomkraft vermitteln den Eindruck, dass die Wirtschaftskrise der Siebzigerjahre ihr Äquivalent im Jahr 2022 gefunden hat. Die Gemeinsamkeiten sind unverkennbar: Ein regionaler Konflikt, der sich zu einem globalen Wirtschaftskrieg ausweitet, hohe Inflation, steigende Ölpreise und die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energieimporten.
Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es aber bedeutende Unterschiede zwischen damals und heute. Bei Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges lag die Staatsverschuldung hierzulande bei sehr niedrigen 18 Prozent des Volkseinkommens. Die Inflationsrate lag 1973 bereits vor dem Anstieg des Ölpreises bei sechs Prozent und ist danach lediglich auf etwas über sieben Prozent geklettert. Aufgrund der niedrigen Verschuldung konnte der Staat sich hohe Zinsen leisten – die Realzinsen lagen damals vor, während und nach der Krise bei plus zwei bis plus vier Prozent. Heute dagegen leiden die Sparer unter einem Realzins von aktuell minus acht Prozent, und in den nächsten zehn Jahren wird sich der Realzins auf bestenfalls minus drei Prozent verbessern.
Klassische Sparbücher oder Anleihen waren daher in den Siebzigerjahren noch so attraktiv, dass Aktien eine vergleichsweise geringere Rolle spielten. Als die Inflation dann nach der zweiten Ölkrise 1979 erneut auf sieben Prozent anstieg, wurde sie mit zweistelligen Zinssätzen vernichtet und erwachte erst 40 Jahre später zu neuem Leben, nun allerdings mit wesentlich ungünstigeren Voraussetzungen für ihre Bekämpfung. Festgelder wurden im August 1981 mit 13 Prozent verzinst, der Realzins lag bei sechs Prozent. Heute kann der Zins nicht einmal in die Nähe der Inflationsrate angehoben werden.
Ein zur effektiven Bekämpfung der Teuerung notwendiger Zins von mindestens zwei Prozentpunkten über der Inflation würde etwa in Italien oder Frankreich zu finanziellen Problemen führen, vergleichbar mit der Euro-Krise von 2011. Vor allem die Zinssituation unterscheidet sich also fundamental von der Ölkrise 1973 und den Folgejahren.
Energiekrise als Risiko für die Aktienmärkte
Der Aktienmarkt hat die Auswirkungen der Corona-Pandemie zügig abgeschüttelt und auch der Ukraine-Krieg scheint eine zunächst aushaltbare Belastung darzustellen.
Falls sich die Energiekrise aber weiter zuspitzt und Russland die Gaslieferungen an Europa stoppt, dann bestünde die Gefahr einer scharfen Kurskorrektur an den Börsen, gefolgt von einer sehr langsamen Erholung – ein weiteres Szenario, das wir bereits aus den Siebzigern kennen. In diesem Fall wäre eine Rezession wohl kaum zu vermeiden und würde entsprechend negative Auswirkungen auf Risikoassets zur Folge haben. Allerdings ist es fraglich, ob wir überhaupt an diesen Punkt gelangen.
Sollte eine dauerhafte Stagflation tatsächlich einsetzen, müssen Aktienanleger ihre Strategie überdenken und womöglich einige Änderungen des Depots vornehmen. Vergangene Phasen mit schwachem Wachstum und hoher Inflation zeigen, dass sich Branchen wie defensiver Konsum, Gesundheit und Immobilien im Vergleich zu zyklischeren Sektoren wie Finanzwerten, Technologie und Industrie besser gehalten haben. Stagflationsphasen begünstigen vor allem Unternehmen, denen es gelingt, die steigenden Inputkosten über Preiserhöhungen weiterzugeben, um ihre Gewinnmargen zu schützen. Das Thema Preisgestaltungsmacht rückt also unabhängig von der jeweiligen Branche zunehmend in den Vordergrund.
So können Anleger ihr Depot krisensicher gestalten
Anleger sollten sich jetzt die Frage stellen, wie sie ihr Vermögen bestmöglich aufteilen können, um die neuen geopolitischen und inflationären Unsicherheiten zu berücksichtigen – eine neutrale Risikoneigung vorausgesetzt. Bei Finvia teilt sich beispielsweise ein aktuelles Depot „Balanced“ mit liquiden Anlagen auf in 49,2 Prozent Aktien, 23,7 Prozent inflationsgeschützte Renten, 11,9 Prozent Gold und 15 Prozent Cash. Weil die Auswahl von Einzelaktien für Kleinanleger recht riskant ist, empfehlen sich nach Einschätzung von Vermögensmanagern vor allem Indexfonds – abgekürzt ETFs. Deutsche Standardaktien deckt beispielsweise der iShares Core Dax Ucits ETF (ISIN DE0005933931) ab, europäische Aktien etwa der iShares Euro Stoxx Ucits ETF (ISIN DE000A0D8Q07) und US-Aktien der Vanguard FTSE North America Ucits ETF Distributing (ISIN IE00BKX55R35). Zu den inflationsgeschützten Rentenpapieren gehört zum Beispiel die Bundesanleihe mit Fälligkeit 2033 (ISIN DE0001030583), Gold kann man über das Index-Zertifikat Xetra-Gold (ISIN DE000A0S9GB0) abdecken.
Wenn man außer den klassischen Börsenthemen auch alternative Anlagen berücksichtigen will, führt das zu einem anderen Mix. Ein „Balanced“-Depot hat dann neben Aktien (6,2 Prozent) und inflationsgeschützten Rentenpapieren (16,9 Prozent) auch Private Equity (21,9 Prozent), Private Debt (9,7 Prozent) und Immobilien (18,4 Prozent) im Bestand, die Kassenhaltung ist mit 15 Prozent angesetzt. Private Equity – also Unternehmensbeteiligungen – stehen bei allen Profi-Anlegern und Family-Offices hoch im Kurs, weil die Renditen teilweise zweistellig sind. Allerdings ist das Kapital bei vielen Angeboten rund zehn Jahre gebunden, deshalb spricht man bei der höheren Rendite auch von einer Prämie für die Illiquidität. Für private Anleger mit kleinerem Budget bieten sich Aktien von Beteiligungsgesellschaften wie etwa KKR oder EQT AB an, die deutlich unter ihren 52-Wochen-Hochs notieren.
Anleger sollten trotz dieser momentan eher düsteren Aussichten wegen des Ukraine-Kriegs nicht den Kopf in den Sand stecken: In den vergangenen 50 Jahren gab es insgesamt sechs Krisen, die vom Ölmarkt ausgingen und alle konnten überwunden werden.
Die kurz- und mittelfristig erheblichen Kursverluste von Aktien in den 70er-Jahren sind eher auf die massiv steigenden Zinsen bis 1980 zurückzuführen. Auf die aktuell hohen Inflationsraten werden nur sehr schwache Zinssteigerungen folgen, da bin ich sehr zuversichtlich. Aktien, Immobilien, Gold und inflationsgeschützte Staatsanleihen werden sich daher positiv entwickeln. Außerdem dürfte Russlands Präsident Wladimir Putin den Ukrainekrieg kaum politisch überleben. Damit wird ein wieder geeintes Europa sicherer werden, und vielleicht gewinnen in Russland vernünftige Politiker die Oberhand und öffnen sich dem Westen, was einen neuen Boom auslösen dürfte. In der Zwischenzeit sollten Investoren Ruhe bewahren und aus den Krisen der Vergangenheit lernen – um die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen.
Reinhard Panse ist einer der Gründer von FINVIA. Als Chief Investment Officer (CIO) verantwortet er alle Kapitalmarktanalysen und Investmententscheidungen. Seit mehr als drei Jahrzehnten steuert er Kundenvermögen – und hält diese auch in Krisenzeiten erfolgreich auf Kurs. Nach der ersten eigenen Gründung noch während des BWL-Studiums wechselte er 1989 zum ersten Multi Family Office Deutschlands, der FERI GmbH. Es folgten erfolgreiche Zeiten als Vorstand und CIO der Sauerborn Trust AG und zuletzt als CIO und Geschäftsführer bei der HQ Trust GmbH, dem Multi Family Office der Familie Harald Quandt. Hier verantwortete er Kundenvermögen in Höhe von gut 10 Milliarden Euro. Reinhard Panse ist Mitglied des Anlagebeirates des Deutschen Stiftungszentrums.