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Deutschlands heißeste Biotech-Aktie

Mainz, dazu fallen einem eventuell die Mainzelmännchen, Mainz 05 und die Mainzer Fastnacht ein. Jetzt hat die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz eine weitere Berühmtheit. Mit BioNTech residiert ein junger Börsenstar in der Stadt am Rhein. Ist der Hype um die Aktie gerechtfertigt? Oder ist sie nur etwas für Jecken?

Nichts für schwache Nerven: Nach dem satten Plus von 225 % ging es erst einmal abwärts. Aktuell notiert die Aktie etwa 25 % unter ihrem Allzeithoch (Bild: shutterstock)

Mainz, dazu fallen einem eventuell die Mainzelmännchen, Mainz 05 und die Mainzer Fastnacht ein. Jetzt hat die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz eine weitere Berühmtheit. Mit BioNTech residiert ein junger Börsenstar in der Stadt am Rhein. Ist der Hype um die Aktie gerechtfertigt? Oder ist sie nur etwas für Jecken?

Sattes Plus von 225 %

Das deutsche Biotechnologieunternehmen (US-Kürzel: BNTX, WKN: A2PSR2) hatte im Oktober 2019 den Schritt an die Börse gemacht. Allerdings nicht an einer heimischen, sondern an der berühmten Technologiebörse NASDAQ. Bei diesem Initial Public Offering (IPO) wurden neue Aktien zu einem Stückpreis von 15 US-Dollar an Investoren verkauft. Der Kurs ging anschließend sofort durch die Decke. Anfang 2020 erreichte er in der Spitze fast 49 US-Dollar. Macht aus dem Stand ein sattes Plus von 225 %. Dann ging es jedoch erst einmal wieder kräftig abwärts. Aktuell notiert die Aktie etwa 25 % unter ihrem Allzeithoch. Diese Entwicklung zeigt: BioNTech ist nichts für schwache Nerven. Wer hier investiert, sollte sich auf eine hohe Volatilität einstellen.

Welche Kategorie?

Das ist typisch für die Branche, in der das Unternehmen aktiv ist. Biotech-Firmen bieten für Anleger zwar immense Gewinnchancen. Deshalb sind sie aber sehr risikoreich. Das gilt umso mehr, wenn sich die entsprechenden Gesellschaften noch in ihren frühen Entwicklungsstadien befinden. Oft steckt in diesen Werten nur die große Zuversicht, bahnbrechende Medikamente oder Behandlungsmethoden zu entwickeln, um mit diesen irgendwann viel Geld zu verdienen. Bis es so weit ist, können Jahre oder Jahrzehnte vergehen. In dieser Zeit schreiben die Unternehmen in der Regel rote Zahlen, die aus den umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten rühren. Das stellt die Investoren auf eine harte Probe. Beispiele dafür gibt es viele – die entsprechenden Chartverläufe inklusive. Sie zeigen nach einer Phase anfänglicher Euphorie oft große Ernüchterung. Das kann daran liegen, dass sich die großen Hoffnungen nicht bewahrheiten. Manchmal ist es aber auch dadurch begründet, dass die Vorschusslorbeeren einfach überzogen waren. Die große Kluft zwischen tatsächlichen Geschäftsergebnissen und Börsenwert normalisiert sich dann. Die Frage ist, zu welcher Kategorie BioNTech gehört. Oder wird sich die bislang bemerkenswerte Kursperformance dauerhaft fortsetzen?

Hohe Verluste

Eine Antwort darauf kann niemand geben. Das wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Fakt ist jedoch, dass im Aktienkurs bereits eine riesige Portion Zukunftsfantasie enthalten ist. Schon beim IPO war der Wert kein Schnäppchen. Er wurde mit umgerechnet etwa 2,9 Mrd. Euro bewertet. Das ist ordentlich für eine Firma, die 2018 bei Umsätzen von knapp 128 Mio. Euro einen Nachsteuerverlust von 48 Mio. Euro erwirtschaftet hat. In den ersten neun Monaten 2019 waren es 81 Mio. Euro Umsatz bei 121 Mio. Euro Verlust. Nun steht der Kurs um einiges höher. Die Schere zwischen Ergebnissen und Börsenwert geht damit noch weiter auseinander. Mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet etwa 7,5 Mrd. Euro ist das Unternehmen mehr an der Börse wert als namhafte Konzerne wie Lufthansa, LANXESS oder Metro.

Revolutionärer Ansatz

Nun könnte man argumentieren, dass dies gerecht fertig ist. Schließlich wollen die Mainzer Therapien zur Behandlung von Krebs und anderen schweren Erkrankungen entwickeln. Daran arbeitet die Konkurrenz aber auch. Liegt es vielleicht an dem revolutionären Ansatz? Künftig sollen nicht Chemotherapie und Bestrahlung zum Einsatz kommen. BioNTech erforscht Möglichkeiten, die Immunabwehr im Körper jeweils so zu beeinflussen, dass der Tumor aus einer Kraft bekämpft wird. Individualisierte und auf den Krebs jedes einzelnen Patienten maßgeschneiderte Therapien sind das erklärte Ziel. Die Zauberformel heißt mRNA. Dabei handelt es sich im Botenmoleküle. Diese Stoffe werden so modifiziert, dass sie mit ihren genetischen Informationen die körpereigenen Zellen dazu anregen, Proteine herzustellen, die Tumorzellen oder Krankheitserreger bekämpfen.

Frühes Stadium

Als Vorteile solcher mRNA-basierten Therapien gelten ihr großes Anwendungsspektrum sowie ihre kostengünstige Herstellung. BioNTech zählt sich zu den mRNA-Pionieren, ist trotz der bisherigen Fortschritte aber erst in einem frühen Stadium. Noch muss fleißig geforscht werden, was weiterhin viel Geld verschlingen wird. Aufgrund des vielversprechenden Therapieansatzes hat man bislang aber stets Kapitalgeber gefunden. In den vergangenen Jahren konnte die Gesellschaft u. a. durch Privatplatzierungen von Aktien rund 1,4 Mrd. US-Dollar einwerben. Klingt erst einmal viel. Das relativiert sich jedoch, wenn man diesen Betrag auf die Jahre seit Gründung aufteilt, was in etwa 140 Mio. US-Dollar jährlich wären. Zum Vergleich: In den ersten neun Monaten 2019 summierten sich Kosten für Forschung- und Entwicklung auf 161 Mio. Euro. Um den Kostendruck zu minimieren, arbeitet BioNTech wie andere Biotech-Startups auch mit großen Pharmakonzernen zusammen. Derzeit haben die Mainzer sieben Partner, darunter Genentech, Pfizer und Sanofi. Bei den Kooperationen setzt BioNTech u. a. auf 50:50-Deals, teilt sich also Kosten und Gewinne.

Riesiges Marktpotenzial

Insgesamt betrachtet hat BioNTech damit zweifelsohne ein sehr vielversprechendes Geschäftsmodell. Vor allem weil das Marktpotenzial riesig ist. Das Unternehmen selbst spricht von weltweit mehr als 90 Mrd. US-Dollar jährlich allein bei der Behandlung von Tumoren. Mit dem eigenen Therapieansatz setzt man dabei auf die technologischen Fortschritte, die die Branche bei genetischen Bluttests macht. Dadurch sollen die meisten Krebsarten bereits in einem frühen Stadium diagnostiziert werden können. Und hier sollen dann die Behandlungsmethoden von BioNTech in großem Stil zum Einsatz kommen. Noch steht man aber am Anfang. Derzeit umfasst die Produktpipeline mehr als 20 potenzielle Wirkstoffkandidaten, von denen sich die ersten in klinischen Studien befinden. Innerhalb der nächsten 18 Monate werden zu sieben von ihnen Ergebnisse erwartet. Bis Ende 2020 will das Unternehmen bis zu sechs klinische Studien als Erstanwendung am Menschen initiieren. BioNTech dürfte damit in den nächsten Monaten weitere Schlagzeilen machen. Ein großes Augenmerk könnte dabei auf dem Kandidaten BNT111 zur Behandlung fortgeschrittener Melanome liegen. Hier wird zweiten Halbjahr 2020 der Start der finalen Studienphase 3 erwartet.

Verwässerungseffekt

Positive Studienergebnisse könnten für Kurssprünge sorgen. Schlechte Nachrichten dürften dagegen das Gegenteil bewirken. Wer an die langfristigen Perspektiven glaubt, dem dürfen volatile Kursbewegungen daher nichts ausmachen. Gleichzeitig sollte man sich auf einen anhaltenden Verwässerungseffekt einstellen. BioNTech hat mit dem Börsengang zwar frisches Kapital von netto rund 135 Mio. Euro eingenommen. Diese Summe reicht aber gerade einmal aus, um den negativen operativen Cashflow zu decken, der in den ersten neun Monaten 2019 angefallen war. Zwar waren Ende September flüssige Mittel von mehr als 460 Mio. Euro vorhanden, sodass zuzüglich der IPO-Erlöse erst einmal eine solide finanzielle Basis vorhanden ist. Anhaltend hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung und der Ausbau des Geschäfts (z. B. Produktionskapazitäten) dürften aber weiterhin viel Geld verschlingen. Zuletzt hat BioNTech außerdem die Übernahme des US-Krebsspezialisten Neon Therapeutics für 67 Mio. US-Dollar angekündigt. Damit gehören auch Akquisitionen zur Strategie.

Sportliche Bewertung

Nach dem erfolgreichen Börsengang könnten daher künftig weitere Aktien bei Investoren platziert werden. Das verwässert die künftigen eventuellen Gewinne, weil sie auf immer mehr Aktien aufgeteilt werden müssen. Das ist vor allem für die Bewertung relevant. Schon vor dem IPO war der Aktienbestand mit 216 Millionen sehr ordentlich. Beim Börsengang kamen mehr als 10 Millionen neue Aktien hinzu. Bei einem fiktiven Nettogewinn von 100 Mio. Euro lässt sich darauf ein sehr sportliches KGV von rund 83 ableiten. Und dieser Profit muss erst mal verdient werden. Günstig ist also anders. Zum Vergleich, auch wenn er etwas hinkt: Der etablierte Biotech-Pionier Biogen kommt aktuell auf ein KGV von 15. Er hat in den ersten neun Monaten 2019 bei Umsätzen von 10,7 Mrd. US-Dollar ein Nettoprofit von 4,45 Mrd. US-Dollar sowie einen operativen Cashflow von 5,1 Mrd. US-Dollar erwirtschaftet. Es hat allerdings Jahrzehnte gedauert, bis sich dieser monetäre Erfolg eingestellt hat. Zwischendurch gab es immer wieder satte Kurseinbrüche von teils mehr als 90 %. Natürlich muss das keine Blaupause für BioNTech sein. Eines steht aber fest: Im aktuellen Aktienkurs sind bereits sehr hohe Erwartungen eingepreist. Das birgt enormes Rückschlagpotenzial. Der neue Börsenstar aus Mainz muss daher nun liefern. Sonst könnten sich die stark überzogen anmutenden Hoffnungen schnell wieder in Luft auflösen.

Thomas Behnke

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