It's vintage, baby!

Retro Revival: Vintage-Mode, -Schmuck und -Handtaschen liegen im Trend. Damit verkaufen die Auktionshäuser nicht nur den Glanz der Vergangenheit, sondern auch echte Werte. Vintage wird zunehmend zur lukrativen Geldanlage.
Sie steht auf der Bühne, mit nichts als diesem bodenlangen, hautfarbenen Glitzertraum: Es ist der 19. Mai 1962 im New Yorker Madison Square Garden. Die große Spendenaktion der Demokratischen Partei läuft, bei der auch der bevorstehende 45. Geburtstag von Präsident John F. Kennedy gefeiert wird. Marilyn Monroe haucht „Happy Birthday, Mr. President“ in das Mikro, das Publikum schnappt nach Luft. Das mit über 2.500 Kristallen besetzte Designerstück von Jean Louis liegt so eng an, dass die Schauspielerin nichts darunter tragen kann und es ihr erst in letzter Minute auf den Leib geschneidert wird. Das Geburtstagsständchen, das die Gerüchte um eine Affäre mit dem Präsidenten weiter anheizt, und das Kleid werden zu Ikonen. Das spektakuläre Outfit der MM hält bis heute einen Fashion-Rekord: 2006 wurde es für etwa 4,5 Millionen Euro beim Auktionshaus Julien’s in Los Angeles verkauft. Erneut Aufmerksamkeit erregte das Dress, als es 60 Jahre nach Marilyn die Reality-Konkubine Kim Kardashian bei der Met Gala in New York trug.

Irre Preise
Der prominente Glitzerfummel ist nur ein Beispiel von vielen: Für schwindelerregende Summen kommen Vintage-Mode, -Schmuck und -Accessoires unter den Hammer. Der Schmuck von Filmdiva Liz Taylor brachte 2011 bei Christie’s in New York 137 Millionen Dollar ein. 2024 fanden die maßgeschneiderten schwarz-roten Sneaker von Basketball-Legende Michael Jordan bei Sotheby’s für mehr als zwei Millionen Euro einen neuen Besitzer. Auch eine Liga drunter – ohne Millionenzuschlag – erreichen Vintage-Objekte bei Auktionen Spitzenwerte. Man denke nur an die Handtaschen des Luxuslabels Hermès oder die Uhren der Nobelmarken Rolex und Patek Philippe, die zehntausende Euro kosten.
Heute setzen Auktionshäuser verstärkt auf Mode, Schmuck und Handtaschen mit besonderer Vergangenheit. Tendenz stark steigend: Seit einigen Jahren boomt das Vintage-Segment ordentlich. Die Sachwerte mit Vergangenheit schmücken nicht nur ihren Besitzer, sondern erweisen sich auch als rentable Geldanlage. „Die Nachfrage ist enorm hoch, deshalb werden hohe Preise erzielt“, bestätigt Julia Neller, Direktorin Schmuck und Uhren beim Kölner Auktionshaus Van Ham, das als Topauktionshaus gilt.
Glamour-Generation stirbt aus
Vintage definiert sich als Stilrichtung in Mode und Design, bei der ältere, meist gebrauchte Stücke wie Kleidung, Schmuck und Accessoires wiederverwendet werden. Zur steigenden Nachfrage haben mehrere Faktoren beigetragen. „Die Verbraucher legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit, und der Kauf von Vintage-Stücken bietet eine Möglichkeit, Luxusgüter zu recyceln, was als umweltfreundlichere Entscheidung wahrgenommen wird“, sagt Selei Serafin, Direktorin und Leitung Kommunikation & Marketing bei Sotheby’s Deutschland. „Außerdem haben Vintage-Stücke einen einzigartigen und zeitlosen Reiz: Manchmal handelt es sich um seltene Unikate, die wirklich etwas Besonderes sind und die Zeit überdauern.“ Zudem machten es Plattformen wie Sotheby’s Buy Now einfach, Vintage-Stücke zu kaufen. Da das Internet das Wissen über die Modegeschichte weithin zugänglich macht und Vintage-Stücke auf Knopfdruck verfügbar sind, beginnen aufstrebende Sammler, den Erwerb zum Sport zu machen. Die Gründe für den Hype bei Schmuck erklärt Neller vom Auktionshaus Van Ham: „Die Generation, die auf große Schmuckstücke Wert legt, stirbt aus. So finden sich viele Erbstücke von vor allem Wohlhabenden in Auktionen wieder.“ Zudem sorgt der aktuell hohe Goldpreis für gute Erlöse.
Durch den Vintage-Boom ist bei ihr die Objektzahl pro Auktion über die Jahre hinweg gestiegen. So gibt es zwei große, reine Vintage-Auktionen pro Jahr. In der Rubrik Schmuck, die auch Mode, Handtaschen und weitere Accessoires umfasst, werden pro Auktion 170 bis 250 Objekte präsentiert. Dann ist da noch die Uhrenauktion mit etwa 150 Stücken pro Auktion. Und bei Sotheby’s? Gibt es immer Auktionen für Schmuck, Uhren, Mode und Handtaschen. Seit der Einführung der Luxusabteilung mit ihrem Schmuck, den Uhren, Weinen, Spirituosen und Büchern vor fünf Jahre zogen die Umsätze deutlich an. Im dritten Jahr wurde die Zwei-Milliarden-Dollar-Marke geknackt, was dem höchsten Umsatz aller Auktionshäuser entspricht. Der Anteil der Luxusgüter: 37 Prozent, gegenüber 30 in 2023 und 14 Prozent noch vor sechs Jahren.
Goldgräberstimmung bei Auktionshäusern
An einige Schätze aus jüngster Vergangenheit erinnert man sich bei Van Ham. Edelstein-Highlights waren ein Armband für 32.000 Euro und eine Anhängerkette für 50.000 Euro aus Smaragden und Diamanten. „Manche Stücke werden für einen geringeren Wert taxiert, so auch hier“, sagt die Expertin Neller. Auch die Wertsteigerungen sind beachtlich: Ein loser Diamant, der 2020 bei Van Ham für 110.000 Euro verkauft wurde, kam 2024 erneut in eine Auktion und erzielte 135.000 Euro. Nicht schlecht.
Bei den Uhren liegen die Marken Rolex, Patek Philippe und Audemar Piguet an der Spitze. Eine Rolex Daytona? Für 83.850 Euro fiel der Hammer. Es handelte sich um ein älteres Modell mit verfärbtem Zifferblatt, das cremefarben statt reinweiß war. „Ein Produktionsfehler, der die Uhr zu einer Rarität für Sammler macht“, sagt Neller. Zudem war die Produktion der Uhr längst eingestellt, was den Preis trieb. Hochpreisig war auch eine Taschenuhr von Patek Philippe mit doppelsigniertem Zifferblatt. Preisschild: 323.000 Euro. Der Bereich Schuhe und Kleidung ist bei den Kölnern noch nicht so stark ausgeprägt wie die Segmente Schmuck, Uhren und Handtaschen. Die „Kelly mini“ der Taschen-Luxusmarke Hermès fand für 21.000 Euro bei Van Ham einen Abnehmer, auch die „Birkin Bags“ sind Kult, da sie einen Verkaufspreis von 12.000 bis 30.000 Euro erzielen. Wer Glück hat und eine der begehrten Taschen direkt beim Hersteller kaufen kann, bezahlt etwa 30 Prozent weniger als den späteren Wert. „Der Wert hängt neben der Verknappung auch von der Lederart und Farbe ab“, ergänzt Neller. Bei Chanel gilt das Modell „Timeless“ als wertiger Klassiker, erzielt aber nicht so extreme Preise wie die Bags von Konkurrent Hermès. „Hermès ist die Nummer eins mit verschiedenen Editionen.“
Apropos Hermès: Zu den Spitzenreitern beim Auktionshaus Sotheby’s gehörte die Hermès „Diamond Himalaya Kelly 25“, die mit 324.637 US-Dollar den höchsten Preis für eine Handtasche 2024 erzielte. Bei der zweiten jährlichen Auktion von Sotheby’s Fashion Icons im Dezember brachten drei historische Kleidungsstücke aus der persönlichen Sammlung von Carolyn Bessette-Kennedy einen Erlös von 177.600 US-Dollar, der Schätzwert lag bei 50.000 bis 70.000 US-Dollar. Diese Stücke, die zum ersten Mal auf dem Markt erschienen, hatte die Stilikone ihrer engen Freundin Rose Marie Terenzio geschenkt, die in den 1990er Jahren die Assistentin und Publizistin von John F. Kennedy Junior war und zu den engsten Vertrauten des Paares gehörte. Carolyn und der Kennedy Junior galten als Icons, bis deren Flugzeug 1999 ins Meer fiel und alle bei jenem Unfall starben.

Hammer. Die "Dynasty Collection“, die ein komplettes Set von Michael Jordans Air Jordan Six Championship Sneakers umfasste, sind mit 8 Millionen US-Dollar bei Sotheby’s die wertvollsten jemals versteigerten Sneaker (Foto: picture alliance).
Herkunft zählt
Die Provenienz – aka die Herkunft eines Objekts – ist bei Vintage-Fashion und -Schmuck ebenso wie in der Kunst ein großes Thema. Der Glamour der prominenten Herkunft überstrahlt dabei oft sogar den Waren- und Schätzwert. „Die Geschichte des Besitzes eines Objekts verleiht ihm eine Anziehungskraft, die weit über seinen eigentlichen Wert hinausgeht“ sagt Selei Serafin von Sotheby‘s. „Wir haben gesehen, wie Objekte mit einer überzeugenden Provenienz die Auktion verzaubern, wenn Bieter auf der ganzen Welt um ein spektakuläres Stück wetteifern, das eine Geschichte zu erzählen hat.“ So haben sich Sammlungen von beliebten Prominenten laut Serafin in letzter Zeit als unwiderstehlich erwiesen.
Neue Zielgruppen für altes Zeug
Vintage lockt viele neue Kundinnen und Kunden in die Auktionshäuser. „Die Luxusauktionen sprechen eine Vielzahl von Käufern an. In den letzten Jahren haben wir jedoch eine deutliche Verschiebung hin zu einem jüngeren Publikum beobachtet, wobei fast ein Drittel der Bieter Millennials und Gen-Z sind“, erklärt Serafin von Sotheby’s. „Dies gilt insbesondere für Kategorien wie Uhren, Handtaschen und Accessoires, Streetwear, moderne Sammlerstücke und Spirituosen.“ Mehr als 60 Prozent der Bieter und Käufer sind völlig neu bei Sotheby’s, und die Hälfte aller Bieter ist unter 40 Jahre alt. Die Käufer bei Van Ham sind zu 50 Prozent Frauen und zu 50 Prozent Männer. „Auch wenn es meist Frauen sind, die den Schmuck tragen, gibt es Männer, die sich interessieren und kaufen. Schmuck gewinnt zunehmend an Beliebtheit“, sagt Neller.
Wie die Handtasche zum Investment wird
Auch wenn sich Vintage als Geldanlage lohnt: Affinität und Interesse sind mitzubringen. Ebenfalls eine gute Voraussetzung für Vintage-Mode, -Schmuck und -Accessoires ist, dass einem das Objekt auch selbst gut gefällt – der Wiederverkauf also nicht zwingend notwendig ist. Ausnahme: Goldschmuck, der häufig rein als Wertanlage gesehen wird. Die Vorteile der Vintage-Sachwerte liegen in der einfacheren Lagerung durch die geringe Größe – im Vergleich zu beispielsweise Statuen, Möbeln oder großformatiger Kunst – und in der Wertstabilität, vor allem von Schmuck und Uhren.
Entscheidend für die Geldanlage? Qualität. Vor dem Kauf ist eine Expertise anzuraten, insbesondere bei Mode. „Es gibt teilweise unglaublich gute Replikate“, warnt Neller. Wenn man etwas kaufen oder verkaufen möchte, empfiehlt es sich, dies über ein Auktionshaus abzuwickeln. Dieses ermittelt den aktuellen Wert und hilft bei Kauf oder Verkauf. Bei Online-Plattformen und Privatanbietern müsse man vorsichtig sein, da es auch unseriöse Anbieter gibt.
Noch einmal zurück nach Köln. Ein frisches Format für Anleger, die nicht gleich immense Summen investieren, sind „Online-Only-Auktionen“. Hier werden Stücke bis 2000 Euro angeboten. „Das ist eine gute Möglichkeit, um in das Thema einzusteigen, da sich die Auktion im unteren Preissegment bewegt, im Gegensatz zu den Präsenzauktionen“, sagt Neller über das niederschwellige Angebot. „Es gibt schöne Stücke für Jedermann, auch für Anfänger bei Sachwerten.“
Was 2025 trendet
Und was sollte man heute kaufen? Gefragt seien signierte Schmuckstücke und historischer Schmuck, insbesondere Art-Déco-Schmuck. Das Reizvolle an Mode, Schmuck, Uhren und Handtaschen als Geldanlage: „Man weiß nie, was daraus wird. Es ist immer auch Glück und Überraschung mit von der Partie.“ So wie beim Glitzerkleid von Marilyn Monroe.