Rheinmetall, ein heißer Dax-Anwärter
Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall profitiert vom Krieg wie kein zweiter. Anleger profitieren mit.
Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall profitiert vom Krieg wie kein zweiter. Anleger profitieren mit.
Der 3. März ist der Tag der Entscheidung: Dann steht fest, wer für den Gasehersteller Linde, der den Dax verlassen hat, ins Top-Segment der Börse nachrückt. Es könnte die Commerzbank sein, es kann aber auch der Rüstungskonzern Rheinmetall sei. Und wenn die Entwicklung der Weltlage so weitergeht wie im Moment abzusehen, läuft die Zeit für den Rüstungshersteller.
Dass man bei Rheinmetall nicht mit einem dramatischen Anstieg des Interesses – am Konzern wie auch an seinen Produkten – gerechnet hat, zeigt der Bestand an Kampfpanzern aus deutscher Produktion, die offensichtlich im Lager standen und vor sich hin schimmeln durften. Ältere Modelle des „Leopard“ zum Beispiel, für die man entscheidende Teile zulieferte. Vor der Verschrottung bewahrt werden sie und andere Rüstungsgüter durch den Überfall Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr. Und das ist auch ziemlich genau der Zeitraum, in dem die Rheinmetall-Aktie sich von rund 93 Euro auf etwa 227 weit mehr als verdoppelt hat. Allein fünfzig Prozent dieses Zuwachses geschahen zwischen dem 23. und 25. Februar 2022. Womit, rein oberflächlich betrachtet, ein alter Vorwurf an die Rüstungsindustrie seine Bestätigung gefunden zu haben scheint: Der Krieg ist, und das zuallererst, der Vater der Dinge, und nicht zu allerletzt der des Geldverdienens.
So einfach ist es allerdings wiederum nicht. Sonst wäre das Papier des Rheinmetall-Konzerns in den Jahren zuvor nicht schon stetig und deutlich in die Höhe gestrebt. Vor 25 Jahren, also noch vor den Verwerfungen des „Neuen Marktes“, von denen das Unternehmen höchstens mittelbar betroffen wurde, notierte die Aktie bei 14 Euro. Die beharrliche Wertsteigerung war in Zeiten der Entspannung und des vermeintlichen „Endes der Geschichte“, das der Historiker Francis Fukuyama beschwor, also nicht so recht erklärlich.
In der Tat durchlebte die „Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik“ seit der Gründung in Düsseldorf 1889 zahlreiche Metamorphosen, aus denen die Geschichte des kriegerischen 20. Jahrhunderts minutiös abzulesen ist. Die wechselhaften Geschicke des Zeitalters in Deutschland ließen Rheinmetall im Laufe der Jahrzehnte als Hersteller von Schreibmaschinen ebenso wie etwa Dampfpflügen auftreten – zahlreiche Umorientierungen folgten immer wieder den äußeren Bedingungen. Seit 2021 nun erscheint Rheinmetall nicht mehr als zweigeteiltes Unternehmen mit den Hauptbereichen Automobil und Rüstung, sondern in modernerer Struktur mit den Konzerndivisionen wie etwa Elektronik, Militärfahrzeuge, Logistik oder Sensorentechnik. Eine direkte Folge des Kriegsgeschehens in der Ukraine ist zuletzt die Übernahme des spanischen Munitionsherstellers Expal für 1,2 Milliarden Euro im November 2022. Ende Januar verkündete Rheinmetall, den größten Teil des Zukaufs dadurch zu finanzieren, dass eine Wandelanleihe begeben werden soll. Das belastete den Aktienkurs, wenn auch nur kurzzeitig – die Logik des Zukaufs und seiner Kosten erschloss sich den Finanzanalysten überwiegend zum Beispiel durch den Bedarf an Munition für den Schützenpanzer „Gepard“, der zunächst ohne ausreichende Munitionsreserven an die Ukraine geliefert werden musste.
Einige Länder, allen voran die Schweiz, verweigerten die Ausfuhr von Munition. Rheinmetall Air Defence, so die aktuelle Bezeichnung des ehemals Oerlikon-Bührle heißenden Schweizer Konzerns, scheiterte bislang an der Schweizer Neutralität. Bern verweigerte sich der indirekten Unterstützung der Ukraine durch Munitionslieferungen nach Deutschland. Die Konsequenzen von seiten des Konzerns sind derzeit noch nicht vollständig absehbar – die Düsseldorfer Zentrale jedoch schaffte in kürzester Zeit Alternativen. Der Konflikt um die Lieferung kleinerer Mengen vorhandener Geschützmunition zeigt exemplarisch die verwickelten und manches Mal schicksalhaften Entscheidungs- und Produktionswege in der Rüstungsindustrie. Rheinmetall jedenfalls stoppte nach Angaben von anonym bleibenden Insidern sofort eine geplante Expansion ihrer Schweizer Tochter. Längerfristig soll der gesamte Standort zur Disposition stehen. „Die ausländischen Kunden haben erkannt, dass die Schweizer Rüstungsindustrie im Kriegsfall keinen Nachschub mehr liefern könnte, vor allem keine Munition“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Das Schweizer Kriegsmaterialgesetz verbietet den Export just in der einzigen Situation, in der er entscheidend sein dürfte: im Verteidigungsfall. Jeder innere oder äußere Konflikt in einem Abnehmerland verhindert damit die Lieferung von kriegstechnischen Produkten. In einer Verteidigungslage, in der die Nato involviert wäre, können die beteiligten Staaten also entscheidende Güter wie Sensoren, Elektronik und Zielsteuerung aus der Schweiz vergessen. Da Rheinmetall Kunden aus aller Welt mit den Erzeugnissen der Tochter in Zürich beliefert, wenden diese sich nun eher besorgt nachfragend an den Konzern. Der Aufbau alternativer Logistikketten ist Gebot der Stunde. Aus Sicht von Rheinmetall, jedenfalls.
Auch nicht konfliktfrei, um es zurückhaltend auszudrücken, verliefen und verlaufen die Gespräche zwischen den befreundeten Staaten in dieser politischen Angelegenheit. Harsche Töne gegenüber der Schweiz gab es aus Deutschland – andere Nachbarländer überließen den Streit zwar diesen beiden, sind aber ähnlich besorgt, weil ihre Waffensysteme von Zürich abhängen. Bisher. Das Beispiel zeigt auf der anderen Seite, dass gern geäußerte Urteile, die Rüstungsindustrie behalte im Ernstfall stets die Oberhand gegenüber den staatlichen, auch demokratisch gewählten, Organen, weit weniger stichhaltig sind als deren Urheber meinen.
Für den Aktienanleger heißt dies natürlich, und das bereits vor einem Investment, sich über die Wechselwirkung zwischen Wunsch und Wirklichkeit klarzuwerden. Ohne politische Auseinandersetzung wird sozusagen kaum eine Schraube gefertigt in Düsseldorf oder den zahlreichen Auslandssitzen von Rheinmetall. Auch wenn ein nicht geringer Teil des gestiegenen Umsatzes von 6,4 Milliarden Euro (2022) aus dem Autozuliefergeschäft stammt, verblasst dies dennoch gegenüber den Rüstungserträgen. Der operative Gewinn ist 2022 nach Angaben des Konzerns um rund zwanzig Prozent gestiegen, die endgültigen Zahlen werden Mitte März erwartet. Jedenfalls erhöhte Rheinmetall schon einmal die Aussicht auf die operative Marge 2022 von elf auf 11,5 Prozent.
Die Richtung, so die Investoren überwiegend, stimmt. Der Rückschluss natürlich angesichts eines nicht gerade boomenden Autogeschäfts: Rüstung floriert. Damit verläuft die Konfliktlinie zwischen moralisch-ethischen Erwägungen und pekuniären Interessen wie immer mitten durchs Portemonnaie. Rheinmetall gehört jedenfalls nach Ansicht zum Beispiel amerikanischer Linker eindeutig zu den „Händlern des Todes“, in einem Boot mit der Tabakwaren- und Alkoholindustrie. Die einfachen Parolen verfangen allerdings wenig angesichts der Tatsachen auf dem Boden. Selbst in dem augenscheinlich leicht zu treffenden Urteil, wer in Sachen Ukrainekrieg auf der richtigen Seite steht, gibt es zwar unterschiedliche Ansichten. Nach hiesiger, überwiegender Lesart dürften jedoch kaum Zweifel bestehen, dass die westlichen Regierungen und die Hersteller ihrer Länder auf der „richtigen“, jedenfalls der den neuen Imperialisten entgegengesetzten Seite stehen.
Dies alles wird nicht reichen, um Rüstungskonzerne jemals in Fonds ethischer Ausrichtung zu übernehmen, oder dass sie den EU-Vorgaben für soziale, umweltbezogene und unternehmensspezifische Erfordernisse (ESG) entsprechen können. Aber das wussten die Anleger ja schon. Dass aber das gesamte Gebiet der Wehrtechnik noch einmal so breites Interesse beim neuerdings fachsimpelnden Publikum erreichen würde, war keineswegs abzusehen. Und der Bedarf der westlichen Staaten an Renovierung und Aufstockung des militärischen Bestandes wird auf Jahre hinaus groß bleiben – da auch eine einmal festgestellte Bedrohung, wie im gegenwärtigen Ausmaß erkennbar, nicht einfach so verschwinden wird.
Wenn kein Ethik-ETF, so doch vielleicht der DAX 40? Es kommt darauf an. Wegen des Ausscheidens von Linde steht nur ein Nachrücker in den Startlöchern. Die Commerzbank, seit gut vier Jahren im Mittelwerte-Index MDAX gelistet, ist dabei heißer Anwärter auf den Auswahlindex, doch kommen genaue Zahlen zum Unternehmenserfolg erst im Laufe des Februars. Mit diesen Gewinnzahlen würde die Bank unter anderem die Anforderung erfüllen, zwei Jahre in Folge Gewinn gemacht zu haben. Dies ist zwar bereits bekannt; nur – die Deutsche Börse als Betreiber wertet allein die Daten, die im Januar verfügbar sind. Wenn es keinen Weg daran vorbei geben sollte, bleibt Rheinmetall der erste, beste Kandidat. Bei der turnusgemäßen Überprüfung des Index im März sind die Karten dann aber nochmals neu gemischt. Wie täglich an der Börse auch.
Reinhard Schlieker
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