Wenn das Volk eine Aktie entdeckt - VW-Papiere im Elchtest
Es war in Werkskreisen bisher ein schmerzlich beobachtetes Manko des Wolfsburger VW-Konzerns, zur wirklichen Old Economy gezählt zu werden. Das könnte sich jetzt ändern - Wachstumsfantasien kursieren bereits.
Es war in Werkskreisen bisher ein schmerzlich beobachtetes Manko des Wolfsburger VW-Konzerns, zur wirklichen Old Economy gezählt zu werden. Das könnte sich jetzt ändern - Wachstumsfantasien kursieren bereits.
Von Reinhard Schlieker
Ein Unternehmen so benzingetrieben wie es nur geht, mit dem ein oder anderen Skandal an der Backe wie etwa der abgasmanipulative Einsatz von - immerhin fortschrittlicher - Software, um die Prüfer von Dieselmotoren zu täuschen - was am Ende um die 30 Milliarden Euro kosten wird, mit Strafen, Entschädigungen und allem was dazugehört. Kursverluste natürlich auch.
Neuerdings ist die Aktie des Konzerns mal wieder ein heißes Thema: Zuletzt war das wirklich weltbewegend, als vor Jahren, so um 2008 herum, die kleine Sportwagenfirma Porsche sich erdreisten wollte, den Weltkonzern zu übernehmen und dazu Optionen erwarb, die bald kaum noch handelbares Material an der Börse beließen - und VW plötzlich seinen Kurs kurzfristig vervierfachte, weil Leerverkäufer sich eindecken mussten - kostete es auch tatsächlich, was es wollte. Die Affaire endete in der Tat damit, dass die geplante Übernahme scheiterte, denn Porsche gingen die zugesagten Bankkredite aus und hinter den Kulissen wurde Macht gespielt.
Nach einigen Irrungen und Wirrungen wurde Porsche eine weitere Volkswagenmarke und die Porsche Automobilholding SE der größte Aktionär bei VW - nun mit weitem Abstand vor dem Land Niedersachsen und dem Staatsfonds von Katar, womit VW streng genommen nun ein wirkliches Familienunternehmen ist. Halt ein recht großes, und die Nachfahren von Volkswagen-Gründer Ferdinand Porsche sind fest an Bord. Das der bodenständige Konzern mit seinem traditionell starken Gewerkschaftseinfluss (der noch auf die Konzeption der britischen Besatzungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeht) nun ausgerechnet in den Fokus amerikanischer Tech-Spekulanten geraten ist, gehört zu den erst einmal kaum nachzuvollziehenden Geschichten, an denen der Konzern reich ist, dazu.
Wie schon bei anderen Firmen vorexerziert, stürzten sich in der abgelaufenen Woche flashmobartig private Kleinanleger auf die VW-Aktie, und zwar vor allem auf die Stammaktie. Diese Gattung befindet sich zu über 90 Prozent in festen Händen, im DAX notiert ist die Vorzugsaktie. Beide Papiere legten außergewöhnlich stark zu, wegen der Marktenge ging es für die Stammaktie rasant von den sonst gewohnten rund 230 Euro auf bis zu 352 nach oben, ehe der Hype sich ein wenig legte. Die Vorzugsaktien verzeichneten einen ebenfalls ungewöhnlichen Anstieg von den Regionen um 190 Euro auf bis zu 245.
Der Ausnahmezustand kann natürlich nicht auf Dauer garantiert werden: Mit enthalten sind sicherlich Versuche, die bei Kleinanlegern vor allem in den USA verlassen „Shorties“ in die Knie zu zwingen, sprich, in die Falle des „Short Squeeze“ laufen zu lassen, so dass diese professionellen Anleger wie Hedgefonds und Investmentvehikel zum Nachkaufen gezwungen sind, um ihre nur geliehenen Aktien zurückgeben zu können: Gewinn beim Spekulieren auf fallende Kurse mithin gar nichts, oder gar unter Null, das ist herzlich unbeliebt in diesen Kreisen. Die sich über „Reddit“ sammelnden Kleinanleger haben das Machtmittel bereits bei der berühmt-berüchtigten Gamestop-Aktie getestet, und bei einigen anderen mehr, und nicht nur an der Wall Street dürften die Köpfe rauchen, wie man dieser Unberechenbarkeit Herr wird.
Vermutlich gilt das bewährte Konzept: Rette sich wer kann, und das möglichst als Erster. Wer einen Aktien-Flashmob als erstes wittert in einem Papier, das man gerade leerverkauft, könnte noch einigermaßen ungeschoren aus dem Geschäft herauskommen. Was aber nur bedeutet, der randalierenden Aktionärsmasse das Gesetz des Handelns zu überlassen und ständig nervös zu sein. Obwohl man das bei diesen Geschäften vielleicht ohnehin sein sollte. Es sei, denn man hat sich für Aktien der Porsche Holding entschieden. Die werden nun auch noch ab kommenden Montag im MDAX notiert - so ein bisschen VW-Aktionär ist jeder Porsche SE-Anteilseigner ja automatisch, siehe oben.
Fast zu kurz gekommen sind in den vergangenen Tagen die durchaus faktischen und ehrgeizigen Vorhaben des VW-Konzerns, der seine Elektrostrategie in einem realistischen Zeitrahmen bis 2040 vollständig umsetzen will, dazu eigene Batteriewerke aufbauen wird und sich vom Verbrenner verabschieden will. Dazu gehört ehrgeizige Software-Entwicklung und eine nochmals einheitlichere Plattformstrategie. Zumindest einige unter den Anlegern werden diese Zukunftspläne für gewinnträchtig erachtet und sich allein deshalb mit VW-Aktien, also den Vorzügen, und aufgrund deren Notierungen in den USA auch mit Stammaktien eingedeckt haben.
Noch im Februar zeigten sich die Analysteneinschätzungen als eher durchwachsen für die Konzern-Aktie. Das dürfte sich nun ändern, allerdings sind wirklich gut basierte Kursziele derzeit wohl kaum zu ermitteln, man hört viel Visionäres. Wenn das akute Feuer erloschen und der Rauch verweht sein wird, könnte sich ein realistischer Wert herausschälen, einstweilen gewinnen und verlieren die hektischen Kurzanleger, je nach Tagesform. Vorerst ist VW immerhin zum wertvollsten deutschen Unternehmen geworden, vor SAP, ist ja auch etwas. Und wenn es auch mit der Übernahme von Tesla, wie um 2013 herum mal geplant, nichts geworden ist: mit dem Einholen und Überholen soll es klappen. Anlagehorizont 2040 ist ja für die Nachkommensvorsorge ein attraktiver Zeitraum. Das sind dann schon längst die Erben der heutigen Flashmob-Spekulanten.
Lesen Sie auch: Rücksetzer nutzen: Fünf Wasserstoffaktien im Check