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Lebensart > Geldpolitik: Bargeldumlauf-Analyse

Bargeld-Paradoxon: Umlauf steigt trotz sinkender Nutzung

Zwischen Techniktrend und Sicherheitsbedürfnis: Trotz kontaktlosem Bezahlen und digitalem Fortschritt wächst der Bargeldumlauf weiter.(Foto: picture alliance)

Trotz Trend zu bargeldlosem Bezahlen wächst Bargeldmenge im Euroraum auf über 1,6 Billionen Euro. Experten sehen Hortung als Hauptgrund.

Wir zahlen mit Karte, Handy, Smartwatch – und doch: Die Menge an Bargeld (Scheine und Münzen) im Umlauf wächst weiter. Nach Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) lag sie im April 2024 im Euroraum bei sagenhaften 1,612 Billionen Euro. Das sind fast 300 Milliarden mehr als vor der Corona-Pandemie. Wie passt das zusammen?

Der Rückzug ins Analoge

Während an den Kassen immer öfter digital gezückt wird, scheint ein anderer Trend fast lautlos im Hintergrund zu wirken: das Horten. Bargeld wird zunehmend nicht zum Bezahlen, sondern zum Aufbewahren genutzt. Die Bundesbank nennt das „Banknoten-Paradoxon“ – ein treffender Begriff für die seltsame Schieflage zwischen technologischem Fortschritt und menschlichem Sicherheitsbedürfnis.

Denn nur noch etwa die Hälfte aller Einkäufe in Deutschland wird bar bezahlt, doch dieser Anteil steht für gerade einmal ein Viertel des Umsatzes. Gleichzeitig wird fast jeder zweite Euro scheinbar still in Schubladen, Matratzen oder Tresoren gebunkert. Der Anteil der Banknoten, die der reinen Wertaufbewahrung dienen, lag 2023 bei 42 Prozent – mehr als doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor.

Unsicherheit als treibender Faktor

Vertrauen ist gut – Bargeld ist besser? Ralf Wintergerst, Vorstandschef des Banknoten- und Sicherheitstechnikherstellers Giesecke+Devrient, erklärt: "Der Euro wird sehr stark gehortet. Unsicherheit ist der treibende Faktor."

Ob Pandemie, Energiekrise, geopolitische Spannungen oder Inflationssorgen – in Krisenzeiten greifen viele Menschen auf Altbewährtes zurück. Bargeld vermittelt Kontrolle, Unabhängigkeit, im Extremfall sogar Freiheit. 

Diese Entwicklung lässt sich auch historisch einordnen. Schon in früheren Krisen war Bargeld für viele ein Sicherheitsanker – sei es bei Bankenkrisen, politischen Umbrüchen oder im Angesicht drohender Hyperinflation. Doch das heutige Ausmaß ist beispiellos. Diese These wird durch Daten der Bundesbank gestützt: "Der Anstieg des Banknotenumlaufs in Krisen – nicht nur während der Coronapandemie – aufgrund der mit diesen einhergehenden Unsicherheit ist ein häufig beobachtetes Phänomen."

Diskussion um Kleingeld-Abschaffung

Unterdessen steht der Kupfercent im Kreuzfeuer: Mitten in dieser seltsamen Bargeldblüte steht das Kleingeld zur Debatte. Besonders die ungeliebten Ein- und Zwei-Cent-Münzen geraten unter Beschuss. Sie sind teuer in der Herstellung, unpraktisch im Alltag – und kaum einer vermisst sie. 53 Prozent der Deutschen wären laut EU-Umfrage für eine Abschaffung.

Das Nationale Bargeldforum schlägt deshalb vor, die Beträge einfach auf den nächsten Fünf-Cent-Wert zu runden. Eine kleine Maßnahme, die das Zahlungsverhalten subtil, aber dauerhaft verändern könnte.

Burkhard Balz, Vorsitzender des Nationalen Bargeldforums, weist auf die hohen Kosten für Herstellung, Verpackung und Transport der Kupfermünzen im Vergleich zu ihrem Wert hin. Bei der Ein-Cent-Münze übersteigen die Produktionskosten sogar den Nennwert.

Zwischen Trend und Tradition

Das Paradoxe an der Lage: Während sich die technischen Möglichkeiten des Bezahlens ständig weiterentwickeln, bleibt Bargeld emotional aufgeladen. Es ist greifbar, anonym, krisensicher. Das macht es zu mehr als nur einem Zahlungsmittel – es ist ein kulturelles Symbol, ein Wertanker in einer digitalen Welt, die sich manchmal zu schnell dreht.

Gleichzeitig zeichnet sich aber eine klare Richtung ab: Die Dynamik digitaler Zahlmethoden nimmt zu. Mobile Payment, kontaktloses Bezahlen, Wallets – all das gewinnt nicht nur Komfortpunkte, sondern auch Marktanteile. Die spannende Frage lautet: Wann wird das Wachstum der Bargeldmenge kippen?

Was die Zukunft bringt

Eine echte Trendwende wäre erst dann in Sicht, wenn zwei Dinge gleichzeitig passieren: Die Unsicherheit nimmt spürbar ab – und das Vertrauen in digitale Zahlungsmethoden wächst substanziell weiter. Mögliche Katalysatoren könnten dabei Kryptowährungen oder digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) sein. Sie verbinden technologische Effizienz mit dem Sicherheitsgefühl staatlicher Kontrolle – ein vielversprechender Hybrid für eine zunehmend gespaltene Zahlungswelt.

Bis dahin bleibt das Bargeld eine Art stiller Gegenspieler der digitalen Euphorie: offiziell auf dem Rückzug, heimlich aber wichtiger denn je.

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