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Stuttgart wird digitaler Börsen-Europameister

Matthias Voelkel, CEO der Boerse Stuttgart Group, diskutierte auf dem diesjährigen Ludwig-Erhard-Gipfel (picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON).

Das traditionsreiche deutsche Haus entwickelt sich zu einem führenden Handelsplatz für digitale Assets. CEO Matthias Voelkel treibt nun auch die europäische Expansion voran.

Über deutschen Regionalbörsen klingelte jahrelang das Sterbeglöckchen, begleitet von peinlichen Fragen wie: Wer braucht die noch? Fusionieren die oder geben sie einfach auf? Macht die Konzentration auf große Handelsplattformen nicht alle überflüssig? Deutschland ist weltweit eines der wenigen Länder, in dem es noch mehrere Börsenplätze gibt – und alle suchen ihre Nische des Überlebens.

Die Börse Stuttgart ist keine Regionalbörse mehr, sondern eine europäische Börsengruppe, die aus dem Nischendenken ausgebrochen ist und sich europaweit Anerkennung verschafft: Sie zeigt den ganz großen Plätzen Europas, wie die Zukunft des Börsenhandels aussehen kann. Ausgerechnet das 1861 gegründete Traditionshaus (seinerzeit waren weder die Glühbirne noch das Auto oder gar ein Flugzeug erfunden, geschweige denn das Internet, ein Bonuszertifikat oder der Bitcoin) hat heute das größte Digitalgeschäft aller europäischen Börsengruppen. London, Frankfurt, Paris oder Zürich staunen nicht schlecht – ausgerechnet die Schwaben bauen den Tesla unter den Börsen.

Unter dem Vorstandsvorsitzenden Matthias Voelkel entwickelt die Börse Stuttgart systematisch die digitale Infrastruktur für den europäischen Kapitalmarkt. Stuttgart ist damit ein Vorreiter in der digital verunsicherten Industrie. Das Digitalgeschäft mit tokenisierten Wertpapieren, Bitcoin, Ethereum & Co macht bereits heute 20 Prozent der Umsätze der Stuttgarter aus.

Voelkel treibt die Transformation der Börse voran, nicht zuletzt im Bereich des Handels und der Verwahrung von Kryptowährungen. In diesem Jahr hat er die die DZ Bank und damit den gesamten genossenschaftlichen Sektor als Kunden für Handel und Verwahrung von Kryptowerten gewonnen. Ein echter Coup, denn so können die Stuttgarter den rund 700 angeschlossenen Primärbanken und deren rund 30 Millionen Privatkunden Zugang zu Kryptowährungen eröffnen. Das ist auch deswegen beachtlich, da das institutionelle Kryptogeschäft aufgrund komplexer regulatorischer Anforderungen in der Regel sehr lange Sales-Zyklen mit sich bringt.

Die Börse Stuttgart hatte ihren eigenen Broker für digitale Assets bereits im Jahr 2019 gestartet. Bison, so der Name, kommt heute auf über 800.000 Kunden. Noch wichtiger ist für die Schwaben perspektivisch das digitale Infrastrukturgeschäft mit klassischen europäischen Banken und Brokern. Voelkel gibt die Devise aus: „Einer der führenden Infrastrukturanbieter in Europa zu werden ist unser ambitioniertes Ziel“, sagt der CEO der inzwischen sechstgrößten Börsengruppe Europas.

Die Börse Stuttgart will die kommende europäische Kapitalmarktunion für sich nutzen. Denn die wird neben der rechtlichen Harmonisierung auch wirklich europäische Infrastrukturen benötigen und so die nationalen Silos überwinden. Die Stuttgarter haben den Sprung ins International-Digitale schon vollzogen. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) sie im Juni 2024 als einzigen Börsenbetreiber in Europa an ihren EU-weiten Tests zur Erprobung von digitaler Infrastruktur für tokenisierte Wertpapiere beteiligt.

Unter Voelkel agiert die Börse Stuttgart dabei wie ein Technologieunternehmen. Ihre Tochter BX Digital ist eine Börse für tokenisierte Assets in der Schweiz, sie soll bis Ende 2024 an den Start gehen. Voelkel gibt dann auch eine europäische Vision aus: „European investors deserve better“. Während Regionalbörsen noch grübeln, wie sie neben Frankfurt bestehen können, stürmen die Stuttgarter an Frankfurt vorbei ins europäische Ausland. Und dies nicht nur im Digitalgeschäft, sondern auch in dem zwischen den europäischen Börsen stark umkämpften Kapitalmarktgeschäft. So hat die Börse Stuttgart die zweitgrößte Börse in Schweden und die zweitgrößte Börse in der Schweiz übernommen. Diese Tochterbörsen wachsen und stehen für Innovation. Allein in Schweden gab es 15 neue Listings von Wachstumsunternehmen in den letzten Monaten. Und damit mehr als doppelt so viele Listings wie IPOs in ganz Deutschland in den letzten zwei Jahren. Im Handel mit strukturierten Wertpapieren ist die Börse Stuttgart ohnehin traditionell europäischer Marktführer.

Nun will die Börse Stuttgart auch nach Italien, um ihr europäisches Set-up auszubauen. In Mailand hat sie einen neuen Hub für das Digitalgeschäft eröffnet. Und auch in Spanien, Benelux und Frankreich ist sie bereits aktiv.

Basis für die neue Dynamik war die Vereinfachung von Struktur und Governance der Börse durch den Aufsichtsrat und Voelkel – von Einigen im konservativen Stuttgart zunächst argwöhnisch beäugt. Doch Voelkel führte viele Gespräche, holte einige neue Leute, leistete Überzeugungsarbeit und schmiedete Allianzen. Dazu gehört auch der Deal mit Axel Springer und der japanischen SBI Group, zwei führenden Digitalunternehmen, die seit Anfang 2023 ins gesamte Digitalgeschäft der Börse Stuttgart investiert sind. Voelkel gilt als unternehmerischer Stratege.

Die Stuttgarter Dynamik fällt, in Anbetracht des schwächelnden Wirtschafts- und Finanzstandorts Deutschland, europäisch auf. In den europäischen Finanzzentren kennt man Voelkel, der über ein internationales Netzwerk verfügt. Er hat in Oxford studiert und wurde in Völker- und Europarecht promoviert. Davor war er zwei Jahre Referent im EU-Parlament, wo er den politischen Betrieb der EU kennengelernt hat. Danach war er 14 Jahre bei McKinsey als Partner in der Banken-Practice und Global Leader der Exchanges & Financial Infrastructure Practice.

Voelkel ist häufig interviewter Gast in deutschen Leitmedien, er tritt auf Kongressen wie dem Ludwig-Erhard-Gipfel vor die Kameras, man sieht ihn beim Deutschen Aktieninstitut ebenso wie beim Wirtschaftsrat. Und wenn Politiker in Berlin und Brüssel über die Regulierung des künftigen Digitalkapitalismus beraten, holen sie seine Meinung ein. Denn Voelkel traut sich, Position zu beziehen. Seine Botschaft ist klar: Europa, und insbesondere Deutschland, braucht die digitale Transformation und viel mehr Beteiligung von Privatanlegern am Kapitalmarkt – auch mit Blick auf Demographie und Rentensystem. Und Europa muss seine technologische Souveränität verteidigen. Mit seiner Börse beweist er, wie das praktisch gehen kann.

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