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Aktien > Absturz einer Industrieikone

Bayer: die Chronik zum Debakel

Die Aktie des einst wertvollsten Dax-Konzerns erleidet an der Börse Schiffbruch. Der Kurs läuft immer weiter Richtung Grund. Anleger hechten fluchtartig von Bord. Wie es so weit kommen konnte.

(Foto: picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser)

Mai 2015

Bayer ist der wertvollste Konzern im Dax. Die Markkapitalisierung liegt bei fast 110 Milliarden Euro. Das Jahr 2015 werden die Leverkusener mit einem Rekordergebnis abschließen. Die Aktie steht mit rund 146 Euro auf All Time High. Marijn Dekker ist Vorstandschef, Werner Baumann Finanzchef. Ein Jahr vor dem ersten Übernahmeangebot in Richtung Monsanto läuft es rund am Rhein.

Mai 2016

Am 1. Mai 2016 löst Werner Baumann Marijn Dekker als Vorstandschef bei Bayer ab. Er weiß damals wohl längst um den Paukenschlag, mit dem er seine Amtszeit beginnen wird. Denn nur wenige Tage später beginnt die mediale Gerüchteküche zu brodeln. Bayer soll dem US-Saatgutriesen Monsanto ein Übernahmeangebot unterbreitet haben, heißt es. Bereits unter Dekker sollen Gespräche stattgefunden haben. Und siehe da: am 23. Mai 2016 bestätigt Bayer die Offerte per Ad-hoc-Mitteilung. Die Leverkusener bieten 122 US-Dollar je Aktie. Der Kurs der eigenen Papiere verliert derweil binnen kürzester Zeit über 20 Prozent an Wert. Ende Mai kostet eine Bayer-Aktie nur noch 86 Euro. Der Markt preist eine erste Portion Risiko ein, die mit einer Fusion einhergehen würde. Monsanto steht schon seit längerem für sein möglicherweise krebserregendes Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat in der Kritik. Zudem müsste sich Bayer hoch verschulden, um den Kaufpreis von 62 Milliarden US-Dollar stemmen zu können.

September 2016

Monsanto hat die erste Bayer-Offerte abgelehnt. Nach zähen Verhandlungen legt CEO Baumann noch einmal nach, bietet nun 128 US-Dollar je Aktie. Der damalige Monsanto-Chef, Hugh Grant, scheint zufrieden und gibt grünes Licht. Der Übernahmewert beläuft sich auf 66 Milliarden Dollar. Bis zur endgültigen Transaktion wird es aber noch dauern, denn die Wettbewerbshüter zwingen Bayer zu hohen Zugeständnissen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Proteste aus der Bevölkerung gegen den Zusammenschluss. Platzt der Deal doch noch? Die Aktie erholt sich, steht im Juni 2017 für kurze Zeit wieder bei über 120 Euro.

Juni 2018

Bayer erfüllt alle Auflagen, gibt unter anderem Umsätze in Höhe von 2,2 Milliarden Euro im Agrargeschäft an BASF ab – und übernimmt Monsanto schlussendlich für 63 Milliarden Dollar. Bis heute ist dies die teuerste Übernahme, die ein deutsches Unternehmen je im Ausland getätigt hat. Werner Baumann freut sich über den aus seiner Sicht gelungenen Coup: „Heute ist ein guter Tag“, frohlockt er. „Für unsere Kunden, die Landwirte, (…), für unsere Aktionäre.“ Die Übernahme habe ein „sehr hohes Wertschaffungspotenzial“. Die Investoren sehen es anders. Die Bayer-Aktie verliert deutlich und rutscht wieder unter die 100 Euro-Marke. An der Börse ahnt man bereits: Die Übernahme hat auch ein hohes Wertvernichtungspotenzial.  

Bayer-Aktie

August 2018

Eine US-Geschworenen-Jury verurteilt Monsanto zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 289 Millionen Dollar an Dewayne Johnson, der als Hausmeister mehrere Jahre mit dem Monsanto-Unkrautvernichter Roundup gearbeitet hatte und währenddessen an Krebs erkrankt war. Die Summe wird in nächster Instanz später auf 78 Millionen Dollar reduziert, gleichwohl wird das Urteil damit bestätigt. Bayer-Aktionäre schauen in den Quartalsberichten von nun an nur noch auf eine Zahl: die der aufgeführten Klagen. Ende des Jahres werden es 9.300 sein. Im Vorstand dämmert offenbar den ersten: hier drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Ein Sparprogramm muss her. Tausende Stellen werden abgebaut.

April 2019

Eklat auf der Bayer-Hauptversammlung. Noch nie haben Aktionäre dem CEO eines Dax-Konzerns die Entlastung verweigert. Bis zu diesem Zeitpunkt. 55 Prozent stimmen dagegen. Eine öffentliche Bloßstellung für Werner Baumann. Die Anzahl der Klagen in Zusammenhang mit Glyphosat sind derweil auf über 13.000 gestiegen. In einem weiteren Verfahren muss Bayer 80 Millionen Euro Schadenersatz und Strafe zahlen. An der Börse ist Bayer nun weniger wert, als die Monsanto-Übernahme schwer war.

Februar 2020

Ausnahmsweise ist mal nicht ein Düngemittel schuld an fallenden Kursen. Es ist die Corona-Pandemie, die die zuvor zaghafte Erholung der Bayer-Aktie im Keim erstickt und die Papiere schlussendlich noch weiter abstürzen lässt.

Juni 2023

Die Bayer-Aktie dümpelt vor sich hin. Es fehlt an Wachstumsfantasie, eine schwächelnde Weltwirtschaft belastet die Ergebnisse im Agrarbereich, in der Pharmasparte fehlt es an Innovationen. Für weitere Glyphosat-Klagen wird Milliarde um Milliarde zurückgelegt. Werner Baumann verlässt die Konzernspitze vorzeitig. Bill Anderson soll den Konzern zurück zu alter Stärke führen. Investoren fordern eine Aufspaltung, bekommen nun aber vorerst nur die nächste Umstrukturierung, inklusive erneutem Stellenabbau.

November 2023

Bayer kommt nicht zur Ruhe. Und so kann der neue CEO auch nicht in Ruhe aufräumen. Im Herbst 2023 bricht die Bayer-Aktie an einem Tag um über 18 Prozent ein, weil der große Hoffnungsträger der Pharmasparte, der Gerinnungshemmer Asundexian, in der entscheidenden klinischen Studie floppt. Derweil laufen die Patente auf die aktuellen Gewinnbringer Xarelto, ebenfalls ein Gerinnungshemmer, und Eylea, ein Augenmedikament, Schritt für Schritt aus, womit in der Folge günstige Nachahmer-Produkte auf den Markt schießen. Fast gleichzeitig schlechte Nachrichten von der Glyphosat-Front: Bayer soll in Missouri 1,5 Milliarden Dollar an drei Landwirte zahlen, die den Unkrautvernichter Roundup benutzten und an Krebs erkrankten.

März 2024

Aus dem einst wertvollsten Dax-Unternehmen ist ein schwerkranker Börsen-Patient geworden. Die Verschuldung ist hoch, die Zahl unbearbeiteter Glyphosat-Klagen liegt bei 52.000. Die von einigen Investoren erhoffte Aufspaltung des Konzerns ist erst einmal vom Tisch. Eine Bayer-Aktie kostet nur noch knapp 26 Euro und droht aus dem Euro Stoxx 50 zu fliegen. Die Marktkapitalisierung liegt gerade mal noch bei 25,4 Milliarden Euro. Die Dividende wurde eingekürzt. Bislang gelöste Probleme: null.

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