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Gefahr aus Japan: Warum steigende Anleiherenditen die globalen Märkte bedrohen

(Foto: shutterstock)

Japans Anleiherenditen steigen auf Rekordstände – mit potenziell gravierenden Folgen für die globalen Finanzmärkte. Droht eine neue Krise?

Japan, lange Zeit ein Synonym für Stabilität in der Finanzwelt, steht plötzlich im Zentrum globaler Marktunsicherheiten. Die Renditen japanischer Staatsanleihen (JGBs) sind zuletzt stark angestiegen – teils auf Rekordniveau. So kletterte die Rendite 40-jähriger JGBs Mitte Mai 2025 auf 3,695 % – den höchsten Stand seit Einführung dieser Laufzeit im Jahr 2007. Auch andere Laufzeiten verzeichneten markante Anstiege: Die 30-jährigen Anleihen erreichten mit 3,197 % den höchsten Wert seit 1999. Diese Entwicklungen belasten nicht nur die heimische Wirtschaft, sondern alarmieren auch internationale Investoren – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für die globalen Finanzmärkte.

Ursachen des Renditeanstiegs

Mehrere strukturelle und aktuelle Faktoren haben den jüngsten Renditeanstieg bei japanischen Staatsanleihen ausgelöst. Zentral ist die wachsende Skepsis der Investoren gegenüber der Tragfähigkeit der Staatsfinanzen. Mit einer Schuldenquote von über 260 % des Bruttoinlandsprodukts gehört Japan zu den am höchsten verschuldeten Industrieländern. Die schwache Nachfrage bei der jüngsten Auktion von 20-jährigen Anleihen – der geringsten seit über einem Jahrzehnt – unterstreicht diesen Vertrauensverlust.

Gleichzeitig signalisiert die geldpolitische Neuausrichtung der Bank of Japan ein Ende der Ära der Negativzinsen und massiven Anleihekäufe. Seit März 2024 hat die Notenbank den Leitzins in mehreren Schritten auf aktuell 0,5 % angehoben. Für japanische Verhältnisse ist das ein signifikanter Kurswechsel – international betrachtet bleibt der Zins jedoch moderat. Zum Vergleich: Die Europäische Zentralbank liegt derzeit bei 2,25 %, die US-Fed bei 4,25 % bis 4,50 %.

Auffällig ist der Renditeabstand zwischen Leitzins und langfristigen Anleihen, der auf mehrere marktspezifische Faktoren zurückzuführen ist:

  • Inflations- und Zinserwartungen: Weil Japan derzeit eine für das Land nach Jahrzehnten struktureller Deflation außergewöhnlich hohe Inflation von 3,6 % verzeichnet, bezweifeln viele Marktteilnehmer, dass die Teuerung rasch auf das Zielniveau von 2 % zurückkehrt.

  • Angebots-Nachfrage-Dynamik: Die Reduktion der Anleihekäufe durch die BoJ bei gleichzeitig hohem staatlichem Emissionsvolumen führt zu einem Angebotsüberhang. Dieser drückt die Anleihekurse und treibt die Renditen – besonders bei langen Laufzeiten – in die Höhe. Hinzu kommt, dass die Zentralbank immer noch rund 45 % aller umlaufenden JGBs in ihrer Bilanz hält; jede Verringerung der Kaufprogramme wirkt daher wie ein Angebots- und Liquiditätsschock auf einen ohnehin engen Markt.

  • Fiskal- und Währungsrisiken: Investoren verlangen für langfristige Engagements in einem hochverschuldeten Land wie Japan einen zusätzlichen Risikoaufschlag. Auch potenzielle Schwankungen des Yen spielen dabei eine Rolle.

Diese Faktoren zusammen könnten erklären, warum die Renditen längerlaufender japanischer Staatsanleihen derzeit deutlich über dem Leitzins liegen – und warum die Gefahr besteht, dass sich der Abstand in den kommenden Monaten weiter ausweiten könnte.

Internationale Implikationen

Die steigenden Renditen japanischer Staatsanleihen sind nicht nur ein innenpolitisches Risiko, sondern könnten auch international spürbare Folgen haben. Japan zählt zu den größten Gläubigern weltweit – mit Netto-Auslandsvermögen von über 533 Billionen Yen. Steigende heimische Zinsen könnten dazu führen, dass japanische Investoren Kapital aus dem Ausland umschichten und wieder verstärkt im Inland anlegen. Das hätte potenziell weitreichende Auswirkungen auf globale Anleihemärkte, insbesondere in den USA und Europa. Bereits jetzt weitet sich der Renditeabstand zwischen zehnjährigen US-Treasuries und Swaps merklich aus – ein mechanischer Spill-over, der zeigt, dass schon moderate Verkäufe japanischer Investoren den US-Markt unter Aufwärtsdruck setzen. Bereits im August 2024 hatte ein plötzlicher Renditesprung bei japanischen Langläufern einen Mini-Crash ausgelöst, weil Marktteilnehmer begannen, den sogenannten Yen-Carry-Trade aufzulösen. Dieses Szenario droht sich zu wiederholen, sollte die Unsicherheit im japanischen Anleihemarkt weiter zunehmen.

Angesichts der engen globalen Verflechtung der Kapitalmärkte ist nicht ausgeschlossen, dass Japan – als lange unterschätzter Risikofaktor – selbst zum Ausgangspunkt einer neuen Finanzkrise wird. Die Situation erinnert in Teilen an die unterschätzten Vorzeichen der US-Hypothekenkrise von 2008.

Profiteure im Inland: Banken und Exporteure

Während die steigenden Anleiherenditen viele Marktteilnehmer nervös machen, ergeben sich für Japans Finanzinstitute kurzfristig auch Chancen. Vor allem Großbanken wie Mitsubishi UFJ Financial Group (MUFG) oder Sumitomo Mitsui Financial Group (SMFG) profitieren zunächst von einer steileren Zinskurve: Sie können kurzfristig günstig Kapital aufnehmen und es langfristig zu höheren Sätzen verleihen – was ihre Nettozinsmargen stärkt.

Doch dieser Effekt hat Grenzen. Denn mit steigenden Realzinsen wächst auch das Risiko von Kreditausfällen, insbesondere bei stark verschuldeten Unternehmen und privaten Haushalten. Zudem drohen Bewertungsverluste auf langlaufende Anleihebestände in den Bankbilanzen – eine Gefahr, wie das Beispiel der USA im Frühjahr 2023 zeigte, als mehrere Regionalbanken infolge gestiegener Zinsen kollabierten. In Verbindung mit einem möglichen Rückgang am Immobilienmarkt könnten sich die Bilanzen der Banken weiter unter Druck setzen. Die Lage bleibt fragil – und sollte auch aus systemischer Sicht aufmerksam beobachtet werden.

Latente Gefahr: Der Yen-Carry-Trade

Ein weiterer Risikofaktor für die globalen Finanzmärkte liegt im Yen-Carry-Trade – einer Strategie, bei der Investoren in Japan zu niedrigen Zinsen Kapital aufnehmen und dieses in höher verzinste Anlagen im Ausland investieren. Steigen die japanischen Zinsen jedoch weiter, könnte dieses Geschäftsmodell unter Druck geraten. Bereits im August 2024 kam es nach einem plötzlichen Renditesprung japanischer Langläufer zu deutlichen Kursverlusten an den Aktienmärkten, weil Marktteilnehmer begannen, ihre Yen-basierten Positionen aufzulösen. Die daraus resultierende Rückabwicklung solcher Trades kann erhebliche Kapitalflüsse und Kursschwankungen auslösen – insbesondere in Märkten mit hoher Abhängigkeit von ausländischem Kapital. 

Noch sind größere Marktverwerfungen ausgeblieben, doch die abnehmende Zinsschere zwischen Japan und anderen Volkswirtschaften macht den Carry-Trade anfälliger – und könnte bei weiter steigenden japanischen Renditen zu erneuten Turbulenzen führen.

Währungseffekte und globale Kapitalflüsse

Die jüngste Entwicklung am japanischen Anleihemarkt hat auch unmittelbare Konsequenzen für den Wechselkurs des Yen. Steigende Renditen und erste Zinsschritte der Bank of Japan haben den Abwertungsdruck zwar zwischenzeitlich verringert, doch strukturelle Faktoren – insbesondere wiederkehrende Handelsbilanzdefizite bei gleichzeitigem Leistungsbilanzüberschuss sowie ein großer Bestand japanischer Investitionen im Ausland – wirken weiterhin belastend.

Sollten vermehrt japanische Kapitalanlagen aus dem Ausland abgezogen und wieder im Inland investiert werden, könnte der Yen kurzfristig aufwerten. Umgekehrt besteht bei anhaltendem Kapitalabfluss und schwacher Nachfrage nach Yen weiterhin das Risiko einer weiteren Abwertung – was die Importpreise steigen ließe und die Inflation zusätzlich anheizen könnte. Ein stärkerer Yen hingegen würde den Preisvorteil japanischer Exporteure verringern und damit deren Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten belasten – ein Spannungsfeld, das die geldpolitische Handlungsfähigkeit der BoJ zusätzlich einschränkt.

Japans Rolle im globalen Anleihemarkt

Japan ist traditionell einer der größten internationalen Kapitalgeber, insbesondere im Markt für US-Staatsanleihen und europäische Anleihen. Japanische Finanzinstitute und Lebensversicherer halten beträchtliche Anleihebestände im Ausland – teils zur Renditesteigerung, teils zur Diversifikation. Steigende heimische Zinsen könnten dieses Gleichgewicht verschieben: Wenn inländische Staatsanleihen wieder attraktiv verzinst werden, könnte die Nachfrage nach ausländischen Papieren sinken. Das hätte Auswirkungen auf die Refinanzierungskosten großer Volkswirtschaften – allen voran der USA. Erste Signale dafür gibt es bereits: Analysten beobachten seit Monaten Nettoverkäufe japanischer Investoren bei US-Treasuries. Sollte dieser Trend anhalten oder sich beschleunigen, könnte dies auch dort zu steigenden Renditen und wachsenden Refinanzierungsrisiken führen.

Ein Wendepunkt mit globaler Relevanz

Die Entwicklung in Japans Anleihemarkt steht exemplarisch für die Herausforderungen einer geldpolitischen Neuorientierung – und ihre potenziellen Folgen weit über Landesgrenzen hinaus. Was als überfällige Normalisierung begann, hat sich binnen weniger Monate zu einer ernstzunehmenden Belastungsprobe für das globale Finanzsystem entwickelt. Sollte der Renditeanstieg ungebremst weitergehen, könnten Kettenreaktionen ausgelöst werden: über Kapitalabflüsse, Verwerfungen im Carry-Trade, einbrechende Anleihekurse in anderen Ländern und eine neue Vertrauenskrise in Bankbilanzen. 

Ob Japan tatsächlich zum Auslöser einer systemischen Krise wird, bleibt offen – doch die Vorzeichen für zunehmende Marktinstabilität mehren sich. Die kommenden Monate dürften zum Lackmustest für die Belastbarkeit des internationalen Finanzsystems werden. Anleger weltweit sind gut beraten, die Entwicklung in Japan mit höchster Aufmerksamkeit zu verfolgen.

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