Zehn Gründe für Anlagen in indische Aktien
Die Sichtweise der Anleger in Bezug auf Indien hat sich geändert, und die Aktienmärkte des Landes werden immer beliebter.
Eine Analyse von Anand Gupta & Sarah Lien, Allianz Global Investors
Während einige dies für eine kurzlebige Modeerscheinung halten, sind wir der Meinung, dass wir einen Wendepunkt erreicht haben, an dem Indien aufgrund seiner Marktgröße einfach nicht mehr ignoriert werden kann. Tatsächlich können wir langfristige Faktoren ausfindig machen, welche die indischen Aktienmärkte besonders attraktiv erscheinen lassen. Im Weiteren führen wir zehn Gründe auf, warum eine Allokation in indische Aktien Teil der Anlegerportfolios sein sollte.
1. Indiens Aktienmarkt weist ein hohes Volumen und Tiefe auf
Die Aktienanlage hat in Indien eine lang etablierte Tradition. Die Bombay Stock Exchange (BSE) in Mumbai, die größte indische Börse, wurde 1875 gegründet und ist damit die älteste in Asien. Zusammen mit der National Stock Exchange of India (NSE) und anderen lokalen Börsen weist der gesamte indische Aktienmarkt mittlerweile eine Marktkapitalisierung von mehr als 4,3 Bio. USD auf (Stand: 31. Dezember 2023). Das macht ihn zum fünftgrößten Markt weltweit und zum zweitgrößten unter den Schwellenländern (nach China).
Die Marktkapitalisierung indischer Aktien entspricht 70 % derjenigen Japans und 63 % der Marktkapitalisierung der Börsen innerhalb der Euronext. Im Kontext der Schwellenländer macht das Gewicht des MSCI India in etwa 16,3 % der gesamten Marktkapitalisierung des MSCI Emerging Markets1 aus – ein Anteil, der in den letzten zehn Jahren stetig gestiegen ist.
2. Strukturelle Faktoren (demographische Entwicklung, Digitalisierung und Infrastruktur) stützen das Wirtschaftswachstum
Indiens Wirtschaftswachstum im letzten Jahrzehnt war beachtlich. Das Land trug im Jahr 2023 schätzungsweise 17,6 % zum globalen BIP-Wachstum bei, verglichen mit weniger als 8 % im Jahr 2001. Diese beeindruckende Entwicklung wird durch verschiedene Faktoren untermauert. Indien weist den weltweit größten Markt an jungen Konsumenten auf: Bis 2030 wird es schätzungsweise 360 Millionen indische Verbraucher unter 30 Jahren geben. Passenderweise wird die digitale Infrastruktur Indiens stetig ausgebaut und an die Bedürfnisse dieser jüngeren, urbaneren Verbraucher angepasst. 43 % der digitalen Echtzeit-Zahlungen weltweit finden schon heute in Indien statt.
Und schließlich tragen Investitionen in die Infrastruktur zu einem reibungsloseren Handel sowohl im Inland als auch über Indiens Grenzen hinweg bei. Indiens nationales Autobahnnetz hat sich im letzten Jahrzehnt mit 155.000 km verdoppelt. Darüber hinaus umfasst die National Infrastructure Pipeline der indischen Regierung, die im August 2020 ins Leben gerufen wurde, mehr als 9.600 Projekte in allen Sektoren, einschließlich Energie, Telekommunikation und saubere Wasserressourcen. Dies steigert nicht nur die physische Mobilität. Es kommt auch einer höheren Produktivität und internationalen Wettbewerbsfähigkeit zugute.2
3. Ein auf MINT ausgerichtetes Bildungssystem
Ein Schlüsselfaktor, der den zunehmenden Wohlstand Indiens und das Wachstum der digitalen Sektoren unterstützt, ist das Bildungssystem. Dieses konzentriert sich vor allem auf die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Unter den indischen Hochschulabsolventen haben 34 % einen Abschluss in diesen Disziplinen, ein Anteil, der höher ist als in vielen anderen Ländern, einschließlich Frankreich und den USA. Angesichts eines solchen Bildungsweges bringt das Land hochqualifizierte Arbeitskräfte hervor, die wiederum Beschäftigungsmöglichkeiten und das Potenzial für Wohlstand schaffen. In vielerlei Hinsicht wird erwartet, dass eben diese Absolventen den innovationsbasierten Wandel in traditionellen Bereichen der indischen Wirtschaft vorantreiben werden.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass 37 % der Ingenieure und 23 % der Wissenschaftler, die für USamerikanische IT-/Softwareunternehmen arbeiten, derzeit aus Indien kommen. 3
4. Indiens Aktienmärkte stehen für ein diverses Aktienuniversum
Umfang und Vielfalt der indischen Aktienmärkte bieten zahlreiche Möglichkeiten für auf Einzelwerte ausgerichtete Anleger, die sogenannten „Stockpicker“. Neben den traditionellen Sektoren wie Pharmazeutika (Indien ist der weltweit größte Lieferant von Impfstoffen und Generika) gibt es Bereiche wie IT-Dienstleistungen (Schätzungen zufolge sind zwischen 50 % und 70 % der weltweit beschäftigten Mitarbeiter in den Bereichen Technologie und Betrieb in Indien ansässig). 4
Ferner befinden sich zyklische Bereiche wie Industrie- und Immobilienwerte im Aufwind und profitieren von der Erholung im Zuge von Covid sowie von geopolitischen Faktoren (z. B. durch die Strategie „China+1“ zur Diversifizierung der Lieferketten, die von vielen multinationalen Unternehmen eingeführt wird). Inländische Konsumwerte und disruptive Innovatoren wiederum sind Nutznießer von demografischen und digitalen Trends.
Schließlich hat eine reformorientierte und unternehmensfreundliche Regierungsagenda vermehrte Investitionen in „zukunftsorientierte Branchen“ (Pharmazie, Solar, Elektronik) ausgelöst und die Monetarisierung staatlicher Vermögenswerte durch einen robusten Markt für Börsengänge unterstützt.
So sind in Indien die beiden größten Sektoren zu 38 % im MSCI India Index vertreten, verglichen mit über 77 % für Technologie im MSCI Taiwan Index, dem entgegengesetzten Extrem. Mit acht Sektoren, die eine Gewichtung von mehr als 5 % im Index aufweisen, bietet Indien erhebliche Diversifikationsvorteile.
5. Verbesserte Corporate Governance
Eine wachsende Zahl von Unternehmen in Indien hält sich bei der Offenlegung von Finanzdaten, der Behandlung von Minderheitsaktionären und der kontinuierlichen Verbesserung der Unternehmensführung (Corporate Governance) an beste Verfahrensweisen. Mehr Transparenz ermöglicht es dem Markt, die Finanzlage von Unternehmen zu beurteilen und die Risikofaktoren abzuwägen. Dies ist auch einer niedrigeren Risikoprämie und besseren Bewertungen förderlich.
Es gab schlagzeilenträchtige Fälle rund um familienkontrollierte Unternehmen und andere Formen von Rechtsstreitigkeiten, die diesen Mentalitätswandel unterstreichen: Forderungen nach mehr Befugnissen für unabhängige Vorstände und mehr Schutz für Minderheitsaktionäre trafen in den nationalen Finanzmedien auf ein breites Echo.
6. Indiens Märkte sind äußerst liquide
Die indischen Aktienmärkte sind nicht nur groß, sie sind auch äußerst liquide. Über 170 an indischen Börsen notierte Aktien weisen eine Marktkapitalisierung von mehr als 5 Mrd. USD auf (der vierthöchste Wert weltweit). Das tägliche Umsatzvolumen ist hoch. Mehr als 250 Aktien weisen einen durchschnittlichen Tagesumsatz von über 10 Mio. USD auf. Diese Größenordnung wird lediglich von den Aktienmärkten Japans, der USA und Chinas übertroffen.
7. Indiens Aktienmärkte bewegen sich nicht im Gleichschritt mit anderen
Die indischen Aktienmärkte weisen für gewöhnlich eine geringe Korrelation zu anderen großen Aktienmärkten auf. Indien weist nicht nur eine mäßige Korrelation zu den Märkten der Industrieländer auf (0,59 ggü. Europa, 0,54 ggü. den USA, 0,49 ggü. Japan). Seine Aktienmärkte stellen auch verglichen mit vielen Bestandteilen des MSCI Emerging Markets (0,57 ggü. Korea, 0,44 ggü. China) eine ebenso geringe oder sogar noch niedrigere Korrelation unter Beweis. Eine erhöhte Allokation in indische Aktien für ein in globalen Aktien oder Schwellenländerwerten investiertes Portfolio kann folglich unter ansonsten gleichen Bedingungen das Risiko-Rendite-Profil verbessern.
8. Niedriger Anteil staatlicher Unternehmen
Ein ebenfalls wichtiges Differenzierungsmerkmal Indiens ist, dass staatliche Unternehmen (State-Owned Enterprises, SOEs) nur 11 % des Aktienmarktes ausmachen, während es bei chinesischen A-Aktien (gemessen am MSCI China A Onshore Index) etwa 46 % sind. Generell gilt, dass staatliche Unternehmen gewöhnlich zu niedrigeren Bewertungsmultiplikatoren gehandelt werden als private Unternehmen, da sie möglicherweise soziale Ziele verfolgen, die den Interessen von Minderheitsaktionären zuwiderlaufen.
9. Lokale Anleger werden zu stärkeren und beständigeren Marktteilnehmern
Indiens Aktienmarkt wird dadurch unterstützt, dass sich eine lokale Aktienkultur herauskristallisiert. Anlagen in Investmentfonds sind für Millionen von Indern zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Finanzplanung geworden. Im Jahr 2023 investierten inländische institutionelle Anleger (DII = domestic investors) 22 Mrd. USD in die indischen Aktienmärkte, was den zweithöchsten jährlichen Zufluss nach dem Höchststand von 36 Mrd. USD im Jahr 2022 darstellt. Dies war das dritte Jahr in Folge, in dem die Zuflüsse von domestic investors die Zuflüsse ausländischer institutioneller Anleger (FII = foreign investors) übertrafen. 5
Wichtig ist, dass die Zuflüsse in systematische Investmentpläne (SIP = systematic investment plan) ungebrochen neue Höchststände markieren, denn diese Form des regelmäßigen Sparens wird immer beliebter. Dieser inländische Pool an Ersparnissen dürfte beständiger und weniger abhängig von Faktoren wie Währungsdynamiken, globalen Zinssätzen oder geopolitischen Entwicklungen sein.
10. Ausländische Anleger zeigen zunehmend Interesse an Indien
Ein Großteil der jüngsten Dynamik an den indischen Aktienmärkten ist auf inländische Kapitalflüsse zurückzuführen, da Wohlstand und Marktzugang der indischen Sparer zunehmen. Dies heißt aber noch lange nicht, dass ausländische Anleger kein Interesse an Indien haben. In der Tat verzeichneten indische Anlagewerte im Jahr 2023 auch ein Rekordinteresse aus dem Ausland: Ausländische institutionelle Anleger (FII = foreign investors) investierten insgesamt 21 Mrd. USD in Aktien. 5
Die Indexanbieter reagieren entsprechend auf diese Entwicklung. MSCI nahm im November 2023 neun indische Unternehmen in seinen MSCI Emerging Markets auf und erhöht damit die Gewichtung Indiens innerhalb dieser Benchmark von 15,9 % auf 16,3 %. 1
Abgesehen davon kam es 2023 zu einer Rekordzahl an Börsengängen (IPOs) am indischen Markt. Insgesamt kamen 56 neue Notierungen hinzu. Eine robuste IPO-Pipeline zieht in der Regel foreign investorsMittelflüsse nach sich, insbesondere wenn die neuen Notierungen in Wachstumssektoren wie Fintech, Lebensmittellieferdienste, Edtech (= educational technology, dt. Bildungstechnologie), Tourismus und Einzelhandel erfolgen.
Ferner dürfte die bevorstehende Aufnahme Indiens in die Anleiheindizes von JP Morgan die Mittelzuflüsse und das Marktinteresse ankurbeln. Fitch geht von passiven Zuflüssen zwischen Juni 2024 und März 2025 in Höhe von 24 Mrd. USD aus. 6
Fazit
Wie bei allen Schwellenländern ist auch bei Investitionen in Indien eine gewisse Vorsicht geboten. Robuste Vorkehrungen für das Risikomanagement helfen, sich in volatilen Zeiten gut zurechtzufinden. Eine genaue Kenntnis des Landes und der lokalen Marktgegebenheiten sind ebenfalls hilfreich, um die vielversprechendsten Aktien auszuwählen und Fallstricke zu vermeiden. Wir bei Allianz Global Investors glauben, dass ein Ansatz der aktiven Aktienauswahl („Stock Picking“) am besten geeignet ist, um die vielen Chancen zu nutzen, die Indien für Anleger bietet.
1 Quelle: MSCI, Stand: November 2023
2 Quelle: indiainvestmentgrid.gov.in, aufgerufen im April 2024
3 Quelle: Barclays, November 2023
4 Quelle: E&Y, Januar 2023
5 Quelle: CLSA, Januar 2024
6 Quelle: Fitch, September 2023