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Märkte > Telekom statt Tech

Der Boom der Langeweile-Aktien

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Seth Wenig)

Selten gingen Investoren so offensiv in die Defensive. Mit seiner entfesselten Zollpolitik sortiert Donald Trump die Aktienmärkte neu.

Wenn im Angriff die Möglichkeiten fehlen, gilt es zunächst hinten stabil zu stehen. Diese Binsenweisheit aus dem Fußball ist auch am Aktienmarkt hin und wieder von Bedeutung. Schwinden die Wachstumsfantasien, geht es daran das Portfolio abzusichern. Defensive statt offensiver Titel, lautet dann die Devise. Oder auch: Langeweile statt Abenteuer.

Selten allerdings wurde diese Strategie so omnipräsent verfolgt, wie derzeit. Schließlich gibt es normalweiße immer auch die, die andersherum denken, ganz im Sinne von „Angriff ist die beste Verteidigung“. Doch für den Moment scheint es, als würden Profis wie Privatanleger im Gleichschritt ihre Portfolios umschichten. Alle wollen raus aus dem Risiko und rein in das, was am Aktienmarkt an maximaler Stabilität möglich ist.

12 Prozent hat der technologielastige Nasdaq100 in den USA seit seinem Hoch im Februar dieses Jahres schon an Wert verloren. Maßgeblich dafür verantwortlich: die schlechte Performance der Magnificent Seven, also der Aktien von Microsoft, Alphabet, Amazon, Apple, Tesla, Nvidia und Meta. Big Tech wankt seit geraumer Zeit. Der Aktienkurs von Tesla hat sich innerhalb von drei Monaten halbiert, die Microsoft-Aktie hat ausgehend von ihrem Rekordhoch im vergangenen Jahr fast 18 Prozent verloren, die Titel der Google-Holding Alphabet in zwei Monaten fast 25 Prozent. Und auch in Europa trennen sich Anleger von Tech-Titeln. Die SAP-Aktie hat in zwei Monaten rund 15 Prozent eingebüßt.

Aber nicht nur Wachstums-Aktien kam zuletzt unter die Räder, auch die Kurse der Zykliker, darunter viele Chemie- und Industrieunternehmen, gaben dies- und jenseits des Atlantiks zum Teil deutlich nach. Die Aktien der US-Airlines sind regelrecht eingebrochen – und auch den Handel trifft es. Die Papiere der Sportartikelhersteller Nike, Adidas und Puma beispielsweise rauschten in den vergangenen Tagen in den Keller.

Zum Teil erhebliche Kursgewinne hingegen verzeichnen Aktien aus dem Telekommunikations- und Energiesektor. Auch die Papiere von Versicherungen blieben zuletzt gefragt. Insbesondere europäische Konzerne aus den genannten Branchen stehen im Fokus der Anleger. Beispiel: die die Aktie des größten deutschen Energienetzbetreibers Eon kletterte unter der Woche auf den höchsten Stand seit 2012. Seit ihrem Tief aus dem Januar haben die Titel fast 50 Prozent zugelegt. Die Aktie der Deutschen Telekom steht auf Jahressicht mit knapp 20 Prozent im Plus, ebenso die Titel des weltgrößten Rückversicherers Munich Re. Anleger setzen auf stabile Erträge und Dividenden, Wachstumsfantasien rücken in den Hintergrund.  

Im Zentrum dieses Trades steht Donald Trumps Wirtschafts- und insbesondere Zollpolitik. Letztere verfolgt der US-Präsident, wie sich in den vergangenen Tagen herausstellte, noch wesentlich restriktiver und rücksichtsloser, als vom Gros der Marktteilnehmer im Vorfeld erwartet. Am Mittwoch nun der vorläufige Höhepunkt der freihandelsökonomischen Horrorshow: Pauschal kündigte Trump auf die meisten US-Importe einen Zoll in Höhe von zehn Prozent an. Je nach Höhe des Handelsdefizits der USA gegenüber dem betroffenen Land, soll dieser noch höher ausfallen. Zölle in Höhe von 20 Prozent sollen für nahezu alle Importe aus der EU gelten, 24 Prozent auf solche aus Japan. Südkoreanische Importe werden mit 25 Prozent Zoll belegt, eingeführte Produkte aus China mit 34 Prozent.

Diese Strafzollorgie hat das Zeug dazu, einen globalen Handelskrieg zu entfesseln. Tatenlos zusehen wird in Europa und anderswo kaum jemand. Gegenzölle auf importierte US-Waren dürften nicht lange auf sich warten lassen. Zwar warnte US-Finanzminister Scott Bessent vor solchen Vergeltungsmaßnahmen, da diese zu einer Eskalation führen würden, doch erpressen lassen will sich weder die EU, noch Japan, China erst recht nicht.

Und deshalb geht an den Märkten inzwischen die Mehrheit von genau einer solchen Eskalation aus – mit weitreichenden Folgen. Es gibt Konzerne, vor allem in der Industrie und im Handel, die die Zölle direkt betreffen, und deshalb entweder den Absatz hemmen oder die Gewinnmargen drücken, ja nachdem ob die Unternehmen die Zölle an ihre Kunden weitergeben oder nicht. Darunter sind Deutschlands Autohersteller. Es gibt aber noch viel mehr Unternehmen, die indirekt von einem globalen Handelskonflikt getroffen werden. Es sind aktuell vor allem die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, die Marktteilnehmer so beunruhigen. Trumps Zölle könnten die USA in die Rezession rutschen lassen – und das bei gleichzeitig anziehender Inflation. Die Logik dahinter: Einführzölle erhöhen das Preisniveau im Inland, die Nachfrage dürfte daraufhin zurückgehen. Im Spiel der Zölle und Gegenzölle, gilt diese Wirkungsweise auch für Europa. Das bringt die Notenbanken in Zugzwang, der eingeschlagene Zinssenkungskurs muss womöglich korrigiert werden, um stark steigende Inflationsraten zu verhindern. Das wiederum führt zu den Verkäufen im Technologie-Sektor, dessen schuldenfinanziertes Wachstum sich mit steigenden Zinsen verteuert. Wie stark zinsabhängig die Wertentwicklung in der Branche ist, haben die vergangenen drei Jahre gezeigt.   

Trump glaubt die USA mit seiner Politik in ein „goldenes Zeitalter zu führen“. Ökonomisch gibt es dafür wenig Anhaltspunkte. Freihandel, dazu gibt es fundierte Berechnungen, steigert die Wohlfahrt aller Beteiligten. Protektionismus hingegen sorgt für Wohlfahrtseinbußen. Offenbar glaubt man auch am Markt mehr der Mathematik, als Trumps Hypothesen – und so sind beim Aktienkauf jetzt Stabilität und verlässliche Erträge gefragter als große Wachstumsversprechen. Heißt konkret: Investoren setzten auf Titel von Unternehmen, deren Geschäftsmodell wenig exportabhängig ist, nicht maßgeblich von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängt und weniger von Wachstumsfantasien als von bestehender Marktmacht und wiederkehrenden Gewinnen. Defensive Aktien, in deren Chartbildern in der Vergangenheit oft viele Jahre lang so gut wie nichts passierte, sind jetzt gefragt. Das Risiko sich in der Offensive zu verspekulieren, scheint aktuell viel zu hoch.

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