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Märkte > Reddit und Co.

Social Media: Das neue Börsenparkett

(Foto von Alexander Shatov auf Unsplash)

Soziale Medien sind heute ein mächtiger Einflussfaktor auf die Finanzmärkte. Die Frage lautet nicht mehr, ob ein Tweet eine Kursrally auslöst, sondern welche Aktie profitieren wird. Das birgt auch Risiken.

Am 22. Mai 2023 sorgte ein von Unbekannten mit KI generiertes Bild einer angeblichen Explosion vor dem Pentagon, dem Hauptsitz des US-Verteidigungsministeriums, für Panik an der US-Börse. Das Bild, das Erinnerungen an den 11. September weckte, ließ den S&P 500 um 30 Punkte fallen, was etwa 500 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung entsprach. Als sich herausstellte, dass die Explosion nie stattgefunden hatte, war der Schaden bereits angerichtet. Laut Bloomberg war dies der erste Fall, in dem ein KI-Bild einen großen Aktienindex beeinflusste. Das Beispiel zeigt, wie soziale Medien und KI von Finanzbetrügern genutzt werden können. Ähnlich wirken auch Elon Musks Tweets, die entweder Aktien- oder Kryptowährungskurse dramatisch fallen lassen oder „to the moon“ schicken können.

Ein Tweet kann ein Kursfeuerwerk entzünden

2018 twitterte Elon Musk, dass er erwäge, Tesla von der Börse zu nehmen, was den Aktienkurs erheblich steigen ließ. Musk's Tweets haben oft weitreichende Folgen – manchmal unbeabsichtigt. Als er Anfang 2024 den Messenger-Dienst Signal empfahl, stiegen die Aktien von Signal Advance, einem nicht verwandten Unternehmen, um 1.500 Prozent aufgrund einer Verwechslung. Musk's Erwähnungen führen häufig zu Kursfeuerwerken, besonders bei Meme-Aktien. Diese Aktien werden nicht aufgrund fundamentaler Kennzahlen gehandelt, sondern durch den Hype in sozialen Medien. Plattformen wie r/WallStreetBets können Kurse massiv beeinflussen. Steigt der Kurs, wollen viele schnell einsteigen, während Profis oft nur für kurze Zeit den Preis treiben, um Gewinne mitzunehmen, bevor der Kurs wieder abstürzt – wie im Januar 2021 eindrucksvoll gezeigt wurde.

David gegen Goliath

GameStop, eine US-amerikanische Einzelhandelskette für Computerspiele, geriet aufgrund des boomenden Onlinehandels und digitaler Downloads unter Druck. Viele Analysten hielten das Geschäftsmodell für veraltet und erwarteten fallende Aktienkurse, was Hedgefonds zu Short Selling veranlasste. Diese spekulierten auf sinkende Kurse, um die geliehenen Aktien günstiger zurückzukaufen. Allerdings organisierte sich eine Gruppe von Kleinanlegern auf Reddit, die gegen die Short-Seller vorgehen wollten und auffällige Muster in den Short-Positionen in öffentlich zugänglichen Informationen entdeckte. Getrieben durch eine Mischung aus Spekulation, Nostalgie für GameStop und einer Anti-Establishment-Haltung kaufte die Community Aktien. Der Preis stieg ab 13. Januar rasant an, was zu einem Short Squeeze führte, bei dem die Short-Seller gezwungen wurden, ihre Positionen zu schließen, um weitere Verluste zu vermeiden. Der Kurs stieg weiter an und erreichte am 27. Januar ein Allzeithoch von 483 USD – ein Plus von über 2.300 Prozent. Hedgefonds und Investmentfirmen erlitten Verluste von rund sechs Milliarden US-Dollar, während einige bei Reddit-Mitglieder Millionen verdienten. Im Februar 2021 fiel der Kurs wieder stark ab. Die GameStop-Saga zeigt, wie soziale Medien Finanzmärkte beeinflussen und Marktmechanismen nachhaltig verändern können.

Macht der Community

„Websites wie Reddit sind ‚a force to be reckoned with´“, sagt Joachim Stanzl vom international tätigen Finanzdienstleistungsunternehmen CMC Markets dazu. „GameStop hat viele Menschen, die sonst nie an die Börse gekommen wären, zu Anlegern gemacht. Diese Sogwirkung finde ich positiv. Und wenn GameStop der Auslöser war, dann ist das halt so“, so der Chefmarktanalyst. In diesem Fall kam ein perfekter Sturm zusammen: Anleger mit Fachwissen, Analysen und gutem Timing setzten die Ereignisse in Gang. Ob sich dies wiederholen lässt, hängt von der Perspektive ab. Andreas Hackethal, Professor für Finanzen an der Goethe-Universität Frankfurt, erforscht Verhaltensfinanzierung, auch bekannt als Behavioral Finance. Dabei geht es um das Verhalten von Anlegern, Finanzberatung und die Digitalisierung des Finanzmarktes. „Mich hat überrascht, dass der Preis so lange auf hohem Niveau blieb, obwohl die fundamentalen Daten das nicht hergaben. Der Preis wurde künstlich gepusht, und die Anreize für Gewinnmitnahmen waren hoch. Die Story verselbstständigte sich und steckt noch heute im Preis.“ Der Wissenschaftler sieht skeptisch, dass es keinen echten Kaufanreiz gab, außer „denen da oben“ mal eins auszuwischen. „Am Ende braucht es immer die Dummen, die noch Geld reinschieben, während andere schon abverkaufen. Der Wind dreht sich bei Meme-Aktien schnell, denn wenn der Kurs abstürzt, gibt es keine Käufer mehr.“ Die Hoffnung schnell viel Geld zu machen, stirbt zuletzt. Es ist wie beim Goldrausch: Man schürft im Wasser, bis man einen Nugget findet – und der Hype beginnt von vorn.

Anarchie auf Reddit, Whats App und Telegram

Reddit, insbesondere das Subreddit r/WallStreetBets, ist so ein Ort, an dem ständig nach Gold aka den nächsten Investitionsmöglichkeiten gesucht wird. Gegründet 2012 von Jaime Rogozinski, sollte es theoretisch dem Austausch von Strategien zu Aktien und Optionen dienen. In der Realität herrscht jedoch Anarchie. Ein Blick genügt, um zu erkennen, dass es viel Geduld braucht, um echte Kaufsignale im ohrenbetäubenden Hintergrundrauschen zu finden – sofern sie überhaupt existieren. Ähnlich turbulent geht es im deutschen Pendant r/Mauerstrassenwetten zu, mit über 300 täglichen Beiträgen, oft Memes oder Portfolio-Screenshots mit vermeintlichen Traumgewinnen. Konkrete Tipps? Mangelware. Überprüfung? Kaum möglich. Forscher der Universität von Südflorida analysierten über 2.000 Beiträge aus r/WallStreetBets zwischen 2018 und 2020 mit klaren Kauf- oder Verkaufsempfehlungen. Kaufempfehlungen erzielten im Schnitt innerhalb von zwei Tagen eine Rendite von 1,1 Prozent – scheinbar wenig, aber dennoch signifikant. Die Forscher stellten zudem fest, dass die Renditen im folgenden Monat um weitere zwei Prozent und im darauffolgenden Quartal um fast fünf Prozent anstiegen. Kein Wunder, dass sich im Forum heute 16 Millionen Follower umschauen.

Eine weitere Anlaufstelle für vermeintlich gewinnbringende Tipps: private WhatsApp- und Telegram-Gruppen, auf die man oft per Insta-Reels gelockt wird. Man nennt sich „Bro“ und stachelt sich zu Käufen an, um bei der nächsten Kursralley abzusahnen. Die Urheber der Gruppen sind oft der gleiche Schlag: gutaussehende Typen, die mit Geldbündeln wedeln und vor wenigen Jahren wohl eher noch für den Mindestlohn arbeiteten. Dann kratzten sie ihr Geld zusammen, verdienen heute einen Haufen Kohle und teilen nun ihre Anlagetipps von Dubai oder Thailand. Seriös oder erfolgversprechend ist das nicht, doch die Zahl der „Opfer“ reißt nicht ab. „Die Leute wollen es einfach haben“, sagt Experte Stanzl dazu. „Sie möchten an der Börse Geld verdienen, aber sie wollen die Arbeit nicht leisten, die es braucht, um den Markt und die Zusammenhänge zu verstehen. Sie wollen sich nicht mit den eigenen Emotionen und der Psychologie des Finanzmarkts auseinandersetzen. Es gibt keine Abkürzung.“ Reddit, einst ein Nischenforum, ging im März 2024 selbst an die Börse. Die Aktie (RDDT) wurde in einer Preisspanne von 31 bis 34 US-Dollar ausgegeben, wodurch Reddit 748 Millionen US-Dollar an neuem Kapital einnahm und eine Marktbewertung von 6,4 Milliarden US-Dollar erreichte – etwa das Achtfache des Umsatzes. Besonders die Tatsache, dass CEO und Mitgründer Steve Huffmann 3,2 Prozent der Reddit-Anteile besitzt und durch den Börsengang rund 193 Millionen US-Dollar verdient, wurmt Nutzer.

Finfluencer sind überall, aber sind sie auch gut?

Dann doch lieber die Finfluencer, die zumindest ihr Gesicht in die Kamera halten? Sie schaffen es, junge Menschen dazu zu bringen, sich mit Finanzen zu beschäftigen. Mr.  Stanzl beobachtet das täglich bei seiner Arbeit. „Besonders stark sehen wir den Einfluss der Finfluencer bei den Glorreichen 7 – den Aktien von Alphabet, Amazon, Apple, Meta Platforms, Microsoft, Nvidia und Tesla. Es ist bemerkenswert, wie stark diese Aktien gekauft wurden, nachdem man sie empfahl. Die Algorithmen verstärken diese Dynamik. Wenn ich über eine kleine Aktie aus China spreche, generiert das weniger Klicks als ein Video über Nvidia. Mehr Klicks gleich mehr Werbeeinnahmen. Das Vertrauen, das durch eine große Community entsteht, scheint Kritik und Skepsis auszuschalten.“ Die wachsende Zahl von digitalen Einflüsteren, unabhängig von ihrer Seriosität, trifft auf eine immense Investitionslust. Das Ergebnis ist eine bislang unbekannte Dynamik an den Börsen. Bashing wäre fehl am Platz. Das Erfolgsgeheimnis dieser digitalen Truppe liegt in ihrer Fähigkeit, Finanzthemen auf eine authentische, persönliche und unterhaltsame Weise zu vermitteln. Selbst die altehrwürdige Tagespresse schafft es selten, so mühelos den Nerv der Masse zu treffen. „Finfluencer zeigen Anlegern, wie sie sich mit Hilfe von Bilanzen, Bankstudien und Charttechnik eine fundierte Meinung zu einer Aktie bilden können“ sagt Stanzl. Das gilt allerdings nur, wenn man auf die Richtigen trifft.

Erfolg am Markt? Oder nicht?

Eine Studie des Swiss Finance Institute zeigt, dass unerfahrene Akteure mehr Follower haben und größeren Einfluss ausüben als ihre fachkundigen Kollegen, was zu finanziellen Verlusten führen kann. Von 29.000 analysierten Accounts gaben nur 28 Prozent Empfehlungen, die den Markt monatlich übertrafen. 56 Prozent schnitten im Schnitt um 2,3 Prozent schlechter ab, während 16 Prozent mit dem Markt gleichauf lagen. Interessanterweise erzielten Investoren, die entgegen den Ratschlägen der Finfluencer handelten, eine monatliche Überperformance von 1,2 Prozent. Der Frankfurter Experte ist dennoch verwundert: „Wenn man sieht, wie viel Geld von Instituten und Banken in Research, Algorithmen und Technologie investiert wird, um auch nur einen kleinen Informationsvorsprung zu gewinnen, dann ist es absurd zu glauben, dass einzelne Finfluencer durch Internetrecherche und vielleicht etwas künstliche Intelligenz mehr wissen als die Profis. Sie spielen an den Aktienmärkten nicht gegen Ihren Nachbarn, sondern gegen Djokovic und Federer.“

Wenn FOMO kickt

Früher wurde auf dem Börsenparkett über Trends und Stimmungen gefachsimpelt, heute diskutieren Anleger und Experten in Onlineforen und sozialen Netzwerken. Hackethal beschreibt es treffend: „Eine schöne Mischung aus Verschwörungen und Versprechen.“ Das funktioniert so gut, weil Menschen stark auf visuelle und auditive Reize reagieren. Bei Meme Stocks geht es weniger um den tatsächlichen Wert, sondern mehr um virale Aufmerksamkeit. FOMO – die Angst, etwas zu verpassen – verbreitet sich dabei besonders schnell. „FOMO bedeutet, dass bereits viel passiert ist. Der Preis steigt unentwegt, und plötzlich will jeder dabei sein. Doch meist ist es dann schon zu spät. Entweder man gehört zu denen, die ein Pump-and-Dump-Spiel betreiben und rechtzeitig verkaufen, oder man verliert“, analysiert Hackethal.

Wer muss eigentlich, wie und wovor geschützt werden?

Wenn Anleger Gefahr laufen, ihr Geld zu verlieren, müsste man sie nicht vor Finfluencern schützen? Im Zweifel wäre das Aufgabe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Doch Ulf Linke, Gruppenleiter in der Abteilung Verbraucherschutz der BaFin, sagt: „Wir beaufsichtigen Institute, das heißt Banken, Versicherungen und Wertpapierhändler. Dafür gibt es entsprechende Vorschriften. Finfluencer stehen momentan nicht unter unserer Aufsicht. Das bedeutet, solange keine konkreten, individualisierten Anlageempfehlungen abgegeben, können wir auf diese Geschäftsmodelle rechtlich nicht einwirken.“ Ist das im Jahr 2024 nicht komplett irre? Die BaFin kann nur dann eingreifen, wenn sie konkrete Hinweise erhält. Der Zugang zu privaten Telegram-Gruppen bleibt ihr jedoch verwehrt, und die Kapazitäten für eine flächendeckende Überwachung fehlen.

Puh. Immerhin, die Regeln für die Finfluencer sind deutlich. „Sie dürfen Finanzbildung betreiben, denn Verbraucheraufklärung darf jeder leisten. Wenn ein Finfluencer aber Anlageempfehlungen ausspricht, muss dies der BaFin angezeigt werden.“, so Linke. In diesem Fall gäbe es Transparenzpflichten. „Der Tippgeber müsste offenlegen, ob er bei den Werten, die er zum Kauf empfiehlt, selbst eine Position aufgebaut hat, also davon profitieren könnte, wenn durch den Kauf der Kurs steigt.“ Für maßgeschneiderte Anlageberatung ist eine Erlaubnis der BaFin erforderlich, da diese auf den individuellen Bedürfnissen eines Kunden basiert. Das Problem auf Social Media: Wenn ich einfach ein Video hochlade und eine Aktie empfehle, ist das keine persönliche Beratung, da ich mein Publikum nicht kenne. Wenn jedoch ein Coaching in eine individuelle Beratung übergeht, ist die BaFin zuständig. Immerhin heißt es von Linke: „Wir schauen uns im Zusammenhang mit Finfluencern regelmäßig an, ob Aktienkurse manipuliert werden oder ob Insider handeln. Wird mit illegalen Mitteln Geld verdient oder werden sogar Verbraucher geschädigt? Marktintegrität ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Die BaFin soll dafür sorgen, dass die Märkte ordnungsgemäß funktionieren“. Doch jene Art von Finanzexperten agieren oft unterhalb der BaFin-Aufsichtsschwelle. Die Behörde überblickt nicht einmal genau, wie viele es davon gibt. „Die BaFin steht vor der schwierigen Aufgabe der Abwägung“, sagt Linke dazu. „Unsere heutigen Gesetze und Vorschriften stammen aus einer Zeit, als Social Media noch nicht so verbreitet war. Ob und wie jene Szene reguliert wird, entscheidet der Gesetzgeber. Und diese Entscheidung muss immer sorgfältig abgewogen sein. Einerseits sollen die Anleger davor bewahrt werden, für sie unkalkulierbare Risiken einzugehen. Andererseits stellt sich die Frage, wie stark der Gesetzgeber die wirtschaftliche Freiheit der Menschen einschränken darf.“ Prof. Hackethal zeigt Verständnis für das zurückhaltende Auftreten der Behörde. „Die BaFin muss vorsichtig sein, dass sie sich nicht angreifbar macht und von Unternehmen verklagt wird. Wenn die Behörde vor unregelmäßigem Handel warnt, aber nicht nachweisen kann, dass es sich um Betrug handelt, läuft sie Gefahr, haftbar gemacht zu werden.“ Aber reicht das als Erklärung aus? Darf eine staatliche Behörde Angst vor einer Klage haben? Oder muss man nicht doch eher solche Umtriebe sofort stoppen?

Augen auf!

Wir müssen uns darauf einstellen, dass neue Akteure die Kurse beeinflussen und die Marktdynamik verändern. „Die Börse ist keine Einbahnstraße. Wenn die Kurse fallen, wird klar, welcher Finfluencer wirklich Ahnung hat oder nur mitgeschwommen ist. Viele haben einen Bärenmarkt noch nicht erlebt“, sagt Stanzl von CMC Markets. Langfristige Strategien und fundierte Entscheidungen bieten den besten Schutz vor den Risiken der Informationsflut in sozialen Netzwerken. Garantierten Schutz gibt es nicht, aber „Wissen ist Macht“. Wer sich über Aktien informiert und seinen Bullshit-Radar nutzt, schützt seine Investitionen besser.

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