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Titelthema
Gestatten:
Der Normalisator
Jerome Powell heißt der neue Chef der US-Zentralbank. Mit ihm an der Spitze steuert
die Geldpolitik der Federal Reserve nach Jahren eines annähernden Nullzinses wieder peu
à peu in Richtung Normalität. Die florierende US-Wirtschaft sowie eine steigende Inflation
stützten Powells Strategiewechsel. Der Druck auf die EZB, jetzt nachzuziehen, wächst.
Für EU-Exporte bieten sich neue Chancen, die Banken aber fürchten Zinserhöhungen.
Spannung auch an den Börsen: Droht ein Powell-Crash?
„Nervtötend Normal“. So charakterisiert
die Washington Post Jerome Powell, der
seit Anfang Februar als Nachfolger von
Janet Yellen das Zepter des obersten Währungshüters,
und damit den Taktstock der
US-Geldpolitik in der Hand hält. Angesichts
dieser Beschreibung verwundert es
wenig, dass seine international mit großer
Spannung erwartete erste wichtige
Zinsentscheidung Mitte März ebenfalls
ziemlich „normal“ ausfiel, also den Erwartungen
entsprach, und eben nicht für
Überraschungen sorgte. Powell, der den
regierenden Republikanern als politisch
nahe stehend gilt, und Trumps ausdrücklicher
Wunschkandidat für das Amt des
Zentralbankchefs war, erhöhte zum ersten
Mal in diesem Jahr den Leitzins um einen
Viertelpunkt auf die neue Spanne von
1,5 bis 1,75 Prozent, und setzt somit den
von seiner Vorgängerin eingeschlagenen
Weg der moderaten Zinserhöhung treu
fort. „Dieser graduelle Prozess ist seit zwei
Jahren im Gange und hat der Wirtschaft
gut gedient und soll ihr auch weiter dienen“, erklärt Powell, der
an Yellens letztmalige Erhöhung des Leitzinses Mitte Dezember
um ebenfalls 0,25 Prozentpunkte nahtlos anknüpft. Insgesamt
ist es die sechste Erhöhung des Leizinses seit der Finanz- und
Wirtschaftskrise.
Powell verfolgt mit seiner Strategie das Ziel, die Geldpolitik
wieder zu normalisieren. Dabei greift der Jurist auf einen reichen
Erfahrungsschatz zurück, den er sich durch seine Arbeit
als Mitglied im Board of Governors, dem Führungsgremium
der Federal Reserve, seit 2012 aufgebaut hat. „Seine Erfolgsgeschichte
der letzten sechs Jahre zeigt, dass er ein umsichtiger
Entscheidungsträger ist", zeigt sich Sherrod Brown, Topdemokrat
im Bankenausschuss des Senats, überzeugt von Powells Arbeitsweise.
Der 65-jährige dreifache Familienvater gilt als ruhig,
konsensorientiert und moderat. Ihm wird nachgesagt, er wäge
seine Entscheidungen reiflich überlegt und gründlich ab. Powell
ist der erste Zentralbankchef seit 40 Jahren, der keinen höheren
Abschluss im Wirtschaftsbereich hat. Dafür kann er aber
Erfahrung aus dem US-Finanzministerium vorweisen, in dem
er als Wirtschaftsanwalt unter Präsident George H. W. Bush in
den 1990er tätig war. Anschließend startete seine erfolgreiche
Karriere als Investmentmanager, die ihm ein millionenschweres
Vermögen einbrachte.
BÖRSE 12 am Sonntag · II | 2018