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Schliekers Börsenjahr
Das Tech-Rätsel
oder: Neuland zum Fürchten?
Wer sich die Entwicklung der Aktienkurse des Vorjahres und der ersten Wochen von 2020
ansieht, wird beim Blick auf den Technologiesektor womöglich bleich um die Nase.
Derartige Kurssteigerungen hatte nicht nur niemand prognostiziert,
sondern gar auf einen Crash gesetzt: Google und Tesla,
Apple und Amazon schienen bereits auf einem sehr hohen Seil zu
balancieren. Gerade bei Apple meldeten sich Quartal für Quartal
die Auguren, die man auf den Namen Kassandra 1 bis X taufen
könnte. Sei es die Vorhersage von Materialmangel, von Abnahme
der iPhone-Nachfrage oder der Schwäche bei Neuentwicklungen,
es gab und gibt alles, was man befürchten kann. Wer sich nicht
darum schert: Der Anleger.
Shortseller hatten und haben es nicht leicht, und, da gemeinhin
eher unbeliebt, sind sie nach dem Schaden meist dem Spott
ausgesetzt. Kann das aber nun so weitergehen? Ganz natürliche
Frage – und man muss konstatieren, dass zahlreiche Experten in
den Jahren 2000 bis 2002 mit voller Überzeugung „ja“ sagten,
ehe der Laden salopp gesagt in die Luft flog. Inzwischen sind
die fünf größten amerikanischen Technologiefirmen zusammen
5,6 Billionen Dollar wert. Amazon, Apple, Alphabet/Google,
Microsoft und mit Abstand Facebook dominieren zahlreiche Indizes
und damit auch Investmentfonds: Die Ansteckungsgefahr
ist wirtschaftlich gesehen durchaus eine größere als die Folgen
des Coronavirus es sein könnten. Was Anleger nervös machen
könnte: Bis auf Apple und Microsoft besitzt keine dieser Firmen
nennenswerte handfeste Werte, die eine hochtrabende Bewertung
untermauern könnten. It’s the technology, stupid! – könnte
man in Abwandlung eines alten Bill-Clinton-Slogans aus dem
damaligen Präsidentschaftswahlkampf sagen. Die wirtschaftliche
Entwicklung allerdings der Mehrheit der Gesellschaft geht
noch lange ganz gewohnte Wege; was die Techriesen an Mehrwert
schaffen, treibt vor allem hochentwickelte Dienstleistungen
oder Aktienmärkte – die althergebrachten Industrien bleiben vor
allem in Amerika doch noch sehr abgekoppelt. Sogar viele jener
sich selbst als fortschrittlich einschätzenden Firmen etwa der
Autoindustrie erscheinen hoffnungsarm abgeschlagen, wenn es
um die Implementierung neuester softwaregesteuerter Services
und Produkte geht. Wenn man den mutmaßlichen Bedarf an
Onlinediensten sieht, den traditionelle Industrien noch haben
und ohne dessen Deckung viele dem Untergang geweiht sind,
dann mag man an eine lange Fortsetzung des Techbooms glauben.
Nur jeder zehnte Geschäftsvorgang in den Industriestaaten
verläuft online und internetbasiert – da wird Luft nach oben
sein. Wo aber überall im täglichen Leben die Neuland-Konzerne
bereits ihre Algorithmen plaziert haben, wie weit die Technologie
bereits unseren oft gedankenlos hingenommenen Alltag und
seine Erfahrungen bestimmen, kann man sich vermutlich als
einzelner gar nicht mehr ausmalen. Man darf getrost davon ausgehen,
dass hinter jedem noch so banalen Vorgang irgendwann
einmal eine ausgefeilte Technologie stehen wird, made in USA
oder China. Damit wächst natürlich auch die politische und gesellschaftliche
Macht der Giganten – der mögliche Angriff eines
der Großen auf eine konkurrierende Industrie dürfte wohl von
vorneherein entschieden sein.
8 // Anlagetrends · 2020 | 2