Aktien & Märkte
Mindestens alle zwei Jahre, wenn in Frankfurt
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die Internationale Automobilausstellung
(IAA) in die zahlreichen Messehallen
zog, schaute die ganze Welt gespannt auf
Deutschlands Schlüsselindustrie. Die hiesigen
Branchengrößen Volkswagen, Daimler
und BMW mieteten riesige Flächen und
stellten unter dem minutenlangen Blitzlichtgewitter
hunderter Fotografen ihre neuesten
Modelle vor. Es war stets ein ganz besonderes
Heimspiel für die Beletage der Branche, die
keine Kosten scheute, um der internationalen
Konkurrenz zu zeigen, wer die besten,
leistungsstärksten und schönsten Autos des
Planeten baut.
Es war ein Trio am Zenit seines Erfolgs. Die
ganze Welt fuhr die deutschen Premiummarken
BMW, Audi, Porsche und Mercedes.
Volkswagen schaffte es sogar vorbei an
Toyota zum weltgrößten Autohersteller. Die
mobile Zukunft wurde hierzulande gedacht
und gemacht. Audis Werbeslogan „Vorsprung
durch Technik“ galt in Deutschland
quasi branchenübergreifend. „Das Beste oder
Nichts“, inzwischen Daimlers Marketing-Jingle,
war häufig Anspruch und Wirklichkeit in
einem. Und „Freude am Fahren“, wie es bei
BMW lange Zeit hieß, war in den meisten
Fällen auch keine leere Worthülse.
In dieser Woche nun, hätte es wieder so weit
sein können, hätten sie wieder beginnen können,
die Feiertage der deutschen Autoindustrie
in Frankfurt. Vorausgesetzt, es hätte sich
in den vergangenen Jahren, mit der Corona-
Pandemie ganz am Ende, nicht plötzlich alles
gewandelt.
Alles neu macht München
So kommt die internationale Autowelt diesmal
zum ersten Mal in München zusammen. Diese
Zusammenkunft heißt auch nicht mehr IAA,
sondern IAA Mobility. Pompös ist an der Veranstaltung
nur noch wenig, vieles ist kleiner
und zurückhaltender geworden. Verbrenner
und Diesel stehen, wenn überhaupt, in den
hinteren Reihen. Neue E-Modelle posieren in
den besten Lagen, junge Start-Ups sind genauso
vertreten wie Lastenräder. Es geht um Mobilität
als Ganzes, nicht mehr allein ums Auto. Es
geht um Robotaxis, Recycling-Konzepte und
klimafreundliches Fahren. Elektrifizierung und
Automatisierung im Fahrzeugsektor haben die
Branche und deren bis dato wichtigstes Treffen
radikal verändert.
Eigentlich keine schlechte Entwicklung,
möchte man meinen. Im Gegenteil: Endlich
wagt die wichtigste deutsche Industrie den
Blick nach vorn, präsentiert sich mutig und
innovationsfreudig. Allein: Während Daimler,
VW und BMW der Dieselskandal lahm legte
und konservativ-verkrustete Strukturen lange
Zeit den Status Quo bedienten, sind mit Tesla
oder BYD aus China neue, große Konkurrenten
entstanden – und gehören jetzt schon zu den
wertvollsten und bedeutendsten Autoherstellern
der Welt. Dass Deutschlands Branchengrößen,
nachdem sie die Zukunft jahrelang aus
Versehen übersehen oder wahrscheinlich eher
ignoriert haben, nun plötzlich die E-Mobilität
preisen, könnte deshalb zu spät kommen.
„Vorsprung durch Technik“ zumindest,
hat beim E-Auto Elon Musks Tesla. Ebenso
beanspruchen die Kalifornier einen Platz unter
den Premiummarken. „Das Beste“ gibt es nun
also auch vom US-Hersteller. Und „Freude am
Fahren“ haben in China sehr viele Kunden dann,
wenn der Preis günstig ist. Das beliebteste E-Auto
im Reich der Mitte ist aktuell mit rund 20 Prozent
Marktanteil der Wuling Hongguan Mini EV.
Der Kleinwagen kostet gerade mal 5.000 Euro.
Unter den Top Ten der Hersteller mit den meistverkauften
E-Autos tauchen die Deutschen überhaupt
nicht auf. Es dominieren Tesla, BYD, Nio
und sogar kleine Start-Ups wie Hozon Auto verkaufen
mehr Fahrzeuge als Daimler und BMW.
Volkswagen schafft es immerhin auf Rang Zwölf.
„Man kann nicht sagen, dass die Deutschen einen
Superjob gemacht hätten. Sie haben jetzt Wettbewerber,
mit denen sie vor drei Jahren noch gar
nicht gerechnet haben“, zitiert die ARD den Automobilanalysten
Jochen Siebert. Auf dem weltweit
wichtigsten Markt geraten die deutschen Hersteller
im wohl bald wichtigsten Antriebssegment ins
Hintertreffen.
In Zahlen macht sich dieser bedrohliche Rückstand
bislang nicht bemerkbar. Im Gegenteil:
Wie eine Analyse des Wirtschaftsprüfers Ernst &
BMW Stand: 17.09.2021
Daimler Stand: 17.09.2021
Tesla in US-Dollar Stand: 17.09.2021
Foto © picture alliance / Flashpic | Jens Krick
Volkswagen Stand: 17.09.2021
400.000 Besucher, mehr als 740 Aussteller,
über 100 Neuvorstellungen:
VDA-Präsidentin Hildegard Müller
zieht eine positive Bilanz der IAA
Mobility in München.