AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART
4. Die Entkopplung der Börse von der Realwirtschaft
Der wohl alles entscheidende Faktor für die furiose Erholung an den
Weltbörsen ist die Entkopplung von Börse und Realwirtschaft. „Aufgrund
der hohen geld- und fiskalpolitischen Interventionen sind die
Börsen nicht länger eine Reflektion der tatsächlichen fundamentalen
Rahmenbedingungen“, fasste es CMC-Markets-Analyst Jochen
Stanzl zusammen. Man könnte das als großes Warnsignal verstehen,
um sich aus Aktien zurückzuziehen, doch es passiert ja ganz offensichtlich
das Gegenteil, was wohl daran liegt, dass dieser Zustand
noch eine ganze Weile lang andauern könnte. Dass sich die Märkte
zuvorderst am Wirtschaftswachstum orientieren, könnte Vergangenheit
sein. Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus waren es die
ultralockere Geldpolitik und die damit einhergehenden niedrigen
Zinsen der Notenbanken, die das Geschehen an den Märkten dominierten.
Fed, EZB und Co. sorgten so für Liquidität und nahmen
Anlegern gleichzeitig die Alternativen. Im Zuge der Viruskrise hat
sich all das noch einmal verstärkt. Die Zinsen beispielsweise werden
nun aller Voraussicht nach über Jahre hinaus in der Nähe ihres gegenwärtigen
Niveaus verweilen. Hinzu kamen weitere billionenschwere
Hilfspakete – allein die Bilanzsumme der Fed ist von 4,2 Billionen
Dollar Anfang März auf inzwischen rund sieben Billionen Dollar
gestiegen. Hinzu kommen die ebenfalls billionenschweren Rettungspakte
auf fiskalpolitscher Seite. Dieses Geld, das zuvorderst bei Großanlegern
und Konzernen landet, will investiert werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund dieser Ausgaben die
Schuldentragfähigkeit der Länder weiter strapaziert wird, was wiederum
– vor allem mit Blick auf den Euro – die Sorgen um eine Geldentwertung
antreibt. Das tut übrigens auch die Aussicht auf mittelfristig
steigende Inflationsraten - bei weiter niedrigen Zinsen. Und so weiß
Groß- wie Kleinanleger schlicht nicht mehr wohin mit dem Vermögen.
Es bleiben „sichere Häfen“ wie Gold oder eben Aktien. Nicht
unwahrscheinlich, dass sich so auf Dauer eine Blase an den Märkten
auftürmt, der jegliche realwirtschaftliche Unterfütterung fehlt. Wie
bedrohlich das ist, bleibt abzuwarten. Wie schließlich soll eine solche
Blase platzen, wenn alternative Anlagemöglichkeiten fehlen. Und so
könnte es passieren, dass es sich Anleger zunehmend gemütlich machen
in dieser Bubble, was die Kurse immer weiter antreiben würde.
31 BÖRSE am Sonntag · 24/20
OG
Dow Jones Industrial seit 2019 Stand: 10.6.2020
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