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Schliekers Börsenjahr
Keine Krise –
ob das schon reicht?
Manche Zahlen sind so unfassbar, dass man schon beim Überfliegen gar nicht erst versucht, sie ins
eigentliche Zentrum der Aufmerksamkeit zu befördern. Eine solche Zahl ist bestimmt diese: 167 Billionen
Dollar.
Kommt also jetzt der Crash?
Die unvorstellbare Summe beziffert den Stand der internationalen
Schulden und stammt vom Internationalen Währungsfonds
(IWF). Damit sind nicht nur die Schulden von Staaten wie auch
Unternehmen ins fast Unermessliche gestiegen, sondern auch die
prozentuale Gewichtung: Mittlerweile machen diese Schulden 250
Prozent der Bruttoinlandsprodukte weltweit aus. Wie bei solchen
Zahlen eine Tilgung vor sich gehen soll, entzieht sich weitgehend
der Berechnung – immerhin müssten die Menschen theoretisch
jahrelang auf alles verzichten, was verzichtbar ist und gleichzeitig
Schuldendienst leisten – viel unrealistischer geht es nicht.
Was aber bleibt dann? Genau genommen müssten die Finanzmärkte
einen Crash zwingend einpreisen. Selbst wenn der nur
regional käme, also beispielsweise zum bereits abgeschriebenen
Kandidaten Venezuela noch Argentinien oder gar noch Brasilien
hinzukämen und den Schuldendienst einstellen müssten. Für einen
weltweiten Crash dürfte das ausreichen. Kein Wunder, dass
der IWF sich wieder einmal um Argentinien kümmert.
Näherliegender noch ist Italien. Das Land befindet sich in großer
Eile auf dem Weg in die falsche Richtung, nämlich in Sachen
Staatsverschuldung. Die Regierenden in Italien werden Mühe
haben, angesichts von zwei Billionen Euro Staatschulden eine
günstige Erweiterung ihres Schuldenstandes hinzubekommen,
doch das scheint sie nicht zu schrecken, und die kritische Haltung
in Brüssel wohl ebensowenig. Angesichts dieser Fliehkräfte
in der EU nimmt es denn auch nicht Wunder, dass die europäischen
Börsen nicht mehr so viele gute Tage hatten in letzter
Zeit. Ein Dax-Verlust von vier Prozent innerhalb einer Woche,
wie Anfang Oktober geschehen, hätte früher mit Sicherheit als
veritabler Crash gegolten. Aber anscheinend haben wir uns an
vieles gewöhnt, was wiederum gefährlich ist: Die meisten der
Alarmzeichen sind deutlich sichtbar, die Reaktionen eher hilflos
bis nicht vorhanden.
Auch die anfängliche mediale Aufregung über den Handelskrieg
zwischen den USA und China oder auch über den zwischen den
USA und Europa sind längst der Routine gewichen, dabei hat der
IWF seine Wachstumsprognose für das kommende Jahr auf weltweit
3,7 Prozent (von 3,9) gesenkt – aufgrund der Verwerfungen
und dem Schwinden des Freihandels. Das mag nicht nach Krise
klingen, kann aber leicht von der Wirklichkeit überholt werden.
Einzig die Wirtschaft der USA wächst stärker als zuletzt erwartet.
Das könnte einige Verluste durch die Handelshemmnisse ausgleichen
helfen. Für die Betroffenen, vor allem in den Schwellenländern,
ist das ein schwacher Trost.
Dennoch: Für einen Ausstieg aus der Aktienanlage gibt es keinen
triftigen Grund. Denn noch immer steigen die Unternehmensgewinne
in den USA und Europa. Hinzu kommt die bekannte Alternativlosigkeit,
wenn man andere Anlagen wie Staats- oder Unternehmensanleihen
betrachtet. Der deutsche Immobilienmarkt
eignet sich kaum zur Geldanlage, da die Preise in den interessanten
Regionen weit vorausgeeilt sind – wer da zukauft, sollte wissen,
dass eine Verkaufsrendite wohl erst für die Kinder oder Enkel herausspringen
wird. Alle anderen Anlageklassen verlangen für eine
auskömmliche Rendite die Inkaufnahme ungewöhnlich hoher Risiken
oder sind ohnehin dem Grauen Kapitalmarkt zuzurechnen,
wo man im Zweifelsfall mit dem Totalverlust spielt.
Dennoch kommt in Deutschland die Botschaft vom Aktienmarkt
weiterhin nicht an – auch die jetzige junge Generation
8 // Anlagetrends · 2019 | 1