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„Wir stehen an einem
möglichen Wendepunkt“
Laurent Clavel, Head of AXA IM Research, über den Handels- und Irankonflikt, mögliche
Konsequenzen für die Weltwirtschaft und ein zweites Börsenhalbjahr 2019, das es in sich
haben könnte.
BÖRSE am Sonntag: Herr Clavel,
was bereitet Ihnen aus makroökonomischer
Perspektive mehr
Sorgen: der Konflikt zwischen den
Vereinigten Staaten und China
oder der zwischen den USA und
dem Iran?
Laurent Clavel: Momentan stellt eine
Eskalation des Konflikts zwischen den
Vereinigten Staaten und China eine
große Bedrohung für die Stabilität der
globalen Wirtschaft dar. Zölle auf chinesische
Importe könnten das Wachstum
des Bruttoinlandproduktes in den USA
um schätzungsweise rund 0,5 Prozentpunkte
verringern. Angesichts einer sich
abschwächenden US-Wirtschaft, den fragilen
globalen Rahmenbedingungen und
der Stimmung an den Finanzmärkten befürchten
wir, dass wir an einem möglichen
Wendepunkt stehen, der einen deutlichen
Abschwung und eine mögliche Rezession
im kommenden Jahr auslösen könnte.
Auf der anderen Seite sind die Ölpreise
ein zentrales Thema der Iran-Krise. Obwohl sich die Investoren
tendenziell weniger auf diesen Aspekt der US-Außenpolitik konzentriert
haben, könnte ein angebotsseitiger Ölpreisanstieg für
den globalen Wirtschaftszyklus ausschlaggebend werden. Ende
2018 sanken die iranischen Exporte gegenüber Mai um mehr als
1,4 Millionen Barrel pro Tag, bevor sie im ersten Quartal 2019
aufgrund der Ausnahmeregelungen wieder leicht anstiegen. In
diesem Szenario wären die Politik der OPEC (mit der Umkehrung
der Produktionskürzungen) und die Bemühungen um ein
neues Marktgleichgewicht von entscheidender Bedeutung.
Welche Konsequenzen hätte in beiden Fällen eine
Eskalation? Und für wie wahrscheinlich halten Sie
eine solche?
In beiden Fällen gibt es noch wenig Klarheit, wobei der Konflikt
im Iran an dieser Stelle besonders schwer zu kommentieren ist.
In Bezug auf den Handelskrieg liegt der Fokus nun eindeutig
auf den Ergebnissen des G20-Gipfels am 28. und 29. Juni. Aktuell
erwarten wir weder eine Eskalation, in der alle chinesischen
Exporte in die USA mit einem Zollsatz von 25 Prozent besteuert
werden, noch eine endgültige Einigung, da der Konflikt in
einen Technologiekrieg übergegangen ist. Wir gehen eher von
einem Waffenstillstand aus, der dem ähnelt, der dem europäischen
Automobilsektor angeboten wurde. Auch wenn es nur eine
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